Christiane Rösinger Text

Am liebsten liegen               

Wohnen in Berlin: Sängerin Christiane Rösinger und ihre Ektorp-Couch

Sie ist viel ausgegangen, jede Nacht, ins „Ex n Pop“. Da trafen sich die Musiker. „Da konnte man so schön depressiv sein und den ganzen Abend traurig am Tresen sitzen, und keiner kam und fragte blöd, was haste denn, warum biste denn traurig.“ Da musste man sich seiner Depression nicht schämen, im Gegenteil. „Die gehörte in den Achtzigern zum guten Ton.“ Neben Kokain und Harddrinks. Lustig war es auch, mit den „Lassie Singers“.

Christiane Rösinger kam 1985 aus dem badischen Spargeldorf Hügelsheim nach Westberlin. Die Stadt war damals „das Größte und Coolste“. Sie zog nach Kreuzberg und gründete mit Almut Klotz und Funny van Dannen die Popband „Lassie Singers“. In Marinekostümen stellten sich die drei Sängerinnen auf die Bühne und sangen gemeinsame Mädchen-Songs über Pärchen, wilde Männer und das Leben. Heute spielt Rösinger in ihrer Postpopband „Britta“, betreibt die Plattenfirma „Flittchenrecords“ und schenkt jeden Mittwoch in der „Flittchenbar“ im „Maria am Ostbahnhof“ als singende Barkeeperin Getränke aus. Manche Gäste wollen ihr Bier lieber ohne Kommentar. Dazu spielen junge unbekannte Bands, manchmal vor einer Hand voll Publikum.

Die Ausgeh-Aktivistin bleibt jetzt öfter daheim, ihre Lieblingsbar „Ex n Pop“ und „Galerie Berlin-Tokyo“ gibt es nicht mehr. Sie mag Vorabendserien und ihre neue Couch, die ist rot und von Ikea. „Zuerst gucke ich Verbotene Liebe, dann Marienhof, dann gibt s ne Pause mit der Abendschau. Weiter geht s mit Gute Zeiten, schlechte Zeiten und dann ,Wer wird Millionär.“ Hätte sie die Million, würde sie eine Etagenheizung in ihre Kreuzberger Wohnung einbauen lassen.

Die rote Couch ist gut gepolstert und heißt Ektorp. Christiane Rösinger ist stolz. „Das ist meine erste eigene Couch, mit neununddreißig Jahren. Ich hab sie seit zwei Monaten.“ Ektorp macht sich gut zu den abgezogenen Dielen und dem braunen Kachelofen. Das sieht gemütlich aus im Wnter. Die Öfen bleiben kalt, weil mit Ölradiatoren geheizt wird. Wenn es zu viel wird, knallt die Sicherung durch. „Den Einbau der Zentralheizung konnte ich seit Jahren verhindern, als Einzige im Haus.“

Rösinger mag Verweigerer. Der Romanheld Oblomow ist einer, weil der sein Leben im Liegen verbringt. Weil der sich seiner Leidenschaft für das Nichtstun ergibt. Rösinger mag „diese Idee vom kontemplativen Leben, das sich nur auf sich selbst bezieht und alles Äußere abwehrt. Oblomow reagiert auf Einladungen von außen mit der Bemerkung: ,Gehen Sie weg, Sie kommen aus der Kälte. Er verweigert sich. Ich liege auch sehr gern – das muss mal gesagt werden.“ Im Liegen sieht sie hin und wieder zu dem blau angestrichenen Schultisch, auf dem der Computer steht. Sie fühlt sich schuldig, weil sie eigentlich dort dransitzen sollte, Texte für die Zeitung fertig machen. Sie schreibt über Pferdemessen, Popkonzerte, Depressionen zu Weihnachten. Bald schreibt sie einen Roman.

Aus der Heimat Hügelsheim am Rhein, einen Fußweg von der französischen Grenze entfernt, brachte Christiane Rösinger die Melancholie mit: „Landmenschen sind melancholisch, die Langeweile bringt sie dahin. Es passiert ja nichts.“ Und wenn man der Außenseiter ist, fühlt man sich schnell verloren. So wie Madame Bovary träumte Rösinger auf dem Hof ihrer Eltern von den großen Festen anderswo. Mit zwölf lieh sie Dostojewski aus der Fahrbücherei. Die Eltern hatten keine Bücher. Sie hatten Spargel und Erdbeeren, Bohnen und Kraut. Nach der Realschule machte die Bauerstochter eine Ausbildung zur Buchhändlerin, „weil Mädchen damals nicht aufs Gymnasium gehen mussten, die gingen aufs Büro“.

Sie bekam ein Kind, brach die Lehre ab, holte ihr Abitur auf der Abendschule nach und ging mit vierundzwanzig nach Berlin, „ohne Geld, ohne Kontakte, mit einer dreijährigen Tochter“. Und mit dem großen Durst. Ganz fallen lassen konnte sie sich nicht in den Bars. „Morgens um sieben habe ich oft einen Schreck bekommen, weil das Kind ja zur Schule gebracht werden musste. Also bin ich dann sofort nach Hause, während die anderen weiter gefeiert haben.“ Tochter Gina ist heute zwanzig, will nur in Kreuzberg wohnen und geht nicht in den Osten. Deswegen ist ihre Mutter nie aus dem Kiez weggezogen, nach Mitte. Heute ist sie froh, in Kreuzberg geblieben zu sein. „Hier sehe ich auf der Straße nicht so viele Szeneleute. Das reicht, wenn ich die nachts treffe.“

Wenn Christiane Rösinger heute ausgeht, dann zu Konzerten „irgendeiner seltsamen Noise-Band aus der Nähe von Stuttgart“ oder befreundeter Bands wie „Tocotronic“ oder „Blumfeld“ aus Hamburg. Sie mag es, rumzustehen und zu trinken, jeden zweiten zu kennen, die Kollegen zu treffen. Die Rave-Clubs bleiben ihr fremd, das gut gelaunte „Partygetue“ ist ihr verdächtig. „Es gibt dieses Melancholieverbot der Neunziger, mit dem ich nichts anfangen kann.“ In Cafés geht Christiane Rösinger nicht gern. Sie empfängt zu Hause, auf der roten Couch. Lieber wäre ihr ein Hotel. Da müsste sie nicht aufräumen, bekäme das Frühstück aufs Zimmer und könnte den Luxus der Anonymität genießen, „wie die Helden in Sartres Romanen“.

logo_dummy

 

©Jana Sittnick 2000 / Berliner Zeitung, Magazin