Major

Major

Der Major kam jeden Nachmittag in die Kneipe, außer Sonntags, er blieb bis zum frühen Abend, trank seine fünf Pils und vier Schnäpse, und zahlte passend. Bevor er sich niederließ, wischte er mit der zusammen gerollten Zeitung in der Hand die Theke ab, mit leiser Verachtung im Gesicht. Fragte ihn eine neue Kellnerin in bester Absicht, was er trinken wolle, sagte der Major, dass man das hier ja wohl wüsste. War die Schaumkrone auf seinem Bier nicht fest genug, murmelte er etwas von „ungeeignet“ und „alles Stümper“.

Er war ein Arsch, und sie nannten ihn den Major, weil er früher bei der Stasi gewesen sein soll. Vielleicht war es auch die NVA. Er hatte eine verwaschene Tätowierung über dem linken Handgelenk, ein Segelschiff, das von seiner Zeit zur See zeugte. Davon redete er gern, wenn er gute Laune und sich warm getrunken hatte. Auch von seinen Reisen nach Teneriffa und Madeira, ja, er konnte sich was leisten und blickte durch. Hatte der Major genug im Turm, fing er an, wahllos andere Gäste zu beschimpfen, mit Vorliebe Kinder, Schwule und Ausländer. Dabei lallte er so leise, dass man ihn kaum verstand.

Als an einem Sommerabend draußen ein schwules Hipster-Pärchen vorbei ging, flippte der Major aus. Die Kneipentür stand weit offen, und genau vor dem Eingang, an der Ecke, hielten die Jungs an und küssten sich tief und innig. Der Major sprang auf, rannte zur Tür, und brüllte auf die Straße „macht eure Schweinereien woanders!“ Die Jungs hatten ihn entweder nicht verstanden, oder ignoriert, jedenfalls gingen sie eng umschlungen weiter.

Etwas später war dann die Sache mit dem Krankenhaus. Da muss es der Major zu weit getrieben haben, da hatte ihm, erzählte man sich, auf dem Nachhauseweg jemand aufgelauert und mächtig die Fresse poliert. Der Major musste ins Krankenhaus und war für einige Wochen nicht kneipenfähig. Danach kreuzte er hin und wieder auf, gab den alten Arsch und zahlte passend wie immer, doch er hatte seine Basis im Kiez verloren, soviel war klar.

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©Jana Sittnick 2011