Strand

Tagsüber war es in der Sonne so heiß und drückend, dass sie von zehn Uhr morgens bis sechs Uhr abends am liebsten zuhause blieben, in dunklen Zimmern, im Schatten kühler Patios und undurchlässiger Baldachine – und sogar an klimatisierten Arbeitsplätzen.

Lisa hatte viel im Club gearbeitet die letzten Tage, und wollte diesmal unbedingt raus, deshalb gingen sie und Marie an die Playa Inglès. Der große Nacktbadestrand von Valle Gran Rey war angesagt bei den Deutschen, Holländern und Schweden, die Einheimischen blieben fern, FKK war nicht ihr Ding. Schwimmen war hier nur selten möglich, der Wellengang war stark und die Unterströmung tückisch, es gab genug Geschichten von Schwimmern, die das Meer hinaus gezogen hatte. Also lag man im Sand, schaute auf die Brandung, lachte über die Touristen, und wurde langsam stoned von der Sonne, das ging allemal.

Aber diesmal war es anders an der Playa, unbehaglich. Lisa und Marie hatten sich auf Wasser-Spritzen und Welle-Ankreischen eingestellt, vielleicht noch auf ein Sitzbad in den „Arschkuhlen“, vom Meer ausgewaschenen flachen Steinen, die wie Mini-Whirlpools funktionierten. Eine typische Mittagspause eben. Doch was war das? Einzelne, nackte Männer, stramme Fünfzigjährige Plus, standen unbeweglich in der Gegend rum, die Arme in die Hüften gestemmt. Standen da und guckten. Über die eigenen Spreckringe hinweg auf die Strandtücher und in die Sandburgen anderer Leute.

Wo kamen die denn her? War das Neckermann´s Rache an der Kanareninsel, weil sie so lange dem Blödmann-Tourismus getrotzt hatte, oder kamen feindliche Spanner nach Gomera, um die letzten Hippie-Strände einzunehmen? Marie dachte an die Ostsee. Als sie Kind war, gab es diese alten Rumsteher auch dort an den Stränden. Damals war FKK sehr beliebt, die Leute badeten, quatschten und wanderten nackt, und besonders gern spielten sie Strandvolleyball und schlenkerten herzhaft ihre Weichteile. Später, im Berliner Tiergarten, hatte sie auch welche gesehen, die rum standen, manchmal stundenlang.

Den beiden Freundinnen fiel es bald auf: Die Rumsteher hatten fast alle untenrum wenig zu bieten, zeigten ungerührt ihr Minimal-Geschlecht: Die können gar nicht ihre eigenen Schwänze sehen, flüsterte Lisa entsetzt, die sind so klein! Und der Bauch ist noch dazwischen! Lisa sah Marie an, Marie sah Lisa an, und sagte eins, zwei, drei – Pimmelstrand! Sie drehten die Gesichter zum Sand und hielten sich die Nasen zu, um nicht zu kreischen.

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©Jana Sittnick 2014