Jim Avignon Text

Chaos und Computer 

Multikünstler Jim Avignon macht das Kult-Spiel Tetris zum Musical

Jim_Avignon_BildEr bereitet seine Konzerte nicht vor, er probt die Musiksets nicht und er hält für die Bühne keinen Plan B bereit. Jim Avignon, Maler, Musiker, Performer, sieht dem Chaos der Live-Panne seltsam unbesorgt entgegen. Der Mann liebt das Risiko, das Spiel, das Abenteuer. Und er hasst die Routine. „Manchmal bin ich mit Apparaten auf der Bühne, die ich vorher nicht ausprobiert habe“, sagt er, „und dann hänge ich in denen drin und merke, ich kann meine Instrumente gar nicht mehr spielen.“

Avignon steigt gern in Bärenkostüme, unter denen er nichts mehr sieht, und er genießt die Situationen des selbst provozierten Scheiterns. Sie sind Teil seiner Arbeit. Für andere wäre der Einbruch des Programms der Tod. Avignon sagt, er könne selbst einer Katastrophe einen Lustmoment abgewinnen. Sein neuester Streich ist ein einmalig aufgeführtes Musikdrama über den Erfinder des Computerspiels „Tetris“. Ein russischer Informatikstudent entwickelte in den achtziger Jahren das Spiel, musste jedoch mitansehen, wie er von der Sowjetregierung und den amerikanischen Spieleproduzenten gleichermaßen um seine Rechte geprellt wurde.

„Tetris“ verkaufte sich millionenfach, sein Erfinder ging leer aus und brachte sich um. Avignon hat diese wahre Geschichte zu einem Musical verarbeitet. „Ich wollte mal etwas Anderes machen als Konzerte“, sagt er, „davon hatte ich schon fünfzig in diesem Jahr.“ Es sollte etwas sein mit dramatischem Aufbau, in dem eine Geschichte erzählt wird, mit Text und Musik. Das neunzigminütige Einmanndrama in acht Aufzügen operiert mit computergenerierten Stimmen, Geräuschen, Masken und Avignons selbst gemalten Bühnenbildern. „Mir war es wichtig, die Geschichte eines Scheiterns anders zu erzählen; als Tragödie in einem fröhlichen Ambiente.“ Kein Teil des „Neuen Berlin“.

Der in München geborene, seit 1986 in Berlin lebende Multikünstler hört nicht gern, dass er ein Vielarbeiter ist. Auch nicht, dass man ihn als Exponent einer bestimmten Berliner Ausgehkultur bezeichnet, die sich in temporären Clubs wie der mittlerweile geschlossenen „Galerie Berlin-Tokio“ konzentriert, einer Kultur, die früher mit Begriffen wie „subscene“ und „independent“ beschrieben wurde und auch heute noch mit dem Berlin der „neuen Mitte“ nichts zu tun hat. „Mitte der neunziger Jahre wurde ich von einigen Hochglanzmagazinen auf der Suche nach dem ,neuen Berlin entdeckt“, erinnert sich Avignon, „und meine Bilder wurden als Ausdruck dieser Stadt verstanden: bunt, schrill, fröhlich. Aber das war es nicht.“

Avignon malte lustige Fabelwesen mit Schlappohren und großen roten Herzen auf der Brust, Muster und Monster. Seine Bildsprache ist gegenständlich und plakativ, sie klingt schrill, irgendwo zwischen Dada, Comic und Pop Art. Seine großflächigen Bildpartys weisen allerdings auch dunkle, ernste Züge auf, die auf den Abgrund hinter der Fassade verweisen. Der Künstler selbst nennt dies die „analytische Seite“, die sich hinter der fröhlichen verbirgt. „Aber das Hochglanzpublikum wollte die Bilder nur für den Lifestyle kaufen. Da bin ich dann erst mal ein bisschen zurückgetreten und habe eine Zeit lang unverkäufliche Installationen gemacht.“

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©Jana Sittnick 2002 / Berliner Zeitung

Foto: Jim Avignon