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Körperkult und Fitnesswahn

 

Eine Ausstellung zeigt die Anfänge des Kraftsports. Heute zählt eher Yoga und Wellness.

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Sport ist Mord, behauptet der Bewegungsmuffel. Und ist damit allein auf weiter Flur. Heute lassen das Aussehen und Wohlbefinden kaum jemanden kalt; sie sind nicht nur zum Baustein der Selbstachtung geworden, sondern auch eine gesellschaftliche Forderung.

Fit und schön sein ist in. Fitness ist zum unverzichtbaren Teil unserer Lebenskultur geworden.

Die Ausstellung „Schönheit kommt von außen“ im Medizinhistorischen Museum der Charité zeigt das Thema auf ironisch wohlgesinnte Weise. Die Schau dokumentiert Vergangenheit und Gegenwart der Fitness-Kultur. Die Bewertung des schillernden Phänomens wird dabei allerdings dem Betrachter überlassen. Und der darf auch gleich selbst turnen.

In einer improvisierten Sporthalle kann man an modernen Geräten laufen, steppen, Fahrrad fahren, rudern und schwitzen. Und kann überlegen, ob Fitness nun schön, gesund und glücklich macht. Die Ausstellung setzt sich anschaulich mit der Geschichte der Fitness-Kultur auseinander – und zeigt ihre Entwicklung aus der Reformbewegung der Jahrhundertwende, ihre Vereinnahmung durch die Nazi-Propaganda der sogenannten Leibeserziehung und ihre Nachkriegsgeschichte bis hin zu Arnold Schwarzenegger und Aerobic-Königin Jane Fonda.

Man erfährt, daß der Däne J. P. Müller – ein Bestsellerautor und Fitness-Papst seiner Zeit – Gymnastikbücher für den Hausgebrauch verfaßte, und daß selbst Franz Kafka „gemüllert“ haben soll. Ein anderer Sportpionier, der Dresdner Künstler Sascha Schneider, eröffnete 1919 sein „Kraft-Kunst-Institut“ mit dem Ziel, seine Zeitgenossen mit Leibes- und Kunstübungen zu „besseren Menschen“ heranzutrimmen. Die mit Kraftgeräten, Hantelanlagen und antiken Jünglingsskulpturen bestückte Trainingsstätte florierte. Doch dem stemmenden Publikum fehlte der Sinn für Kultur. Es blieb eine „lockere Trainerbande“, gestand der Künstler enttäuscht ein.

Sportpioniere wie Schneider markieren den Beginn der modernen Fitness-Kultur. 100 Jahre nach Turnvater Jahn, der 1810 mit jungen Männern aus Protest gegen die napoleonische Fremdherrschaft in der Berliner Hasenheide öffentlich turnte, entwickelte sich aus der kollektiven Körperertüchtigung der neue Individualsport der modernen Großstadt.

Heute gehört Fitness zu den populärsten Freizeitbeschäftigungen. Nach Angaben des Deutschen Sportstudio-Verbandes zählen die 6500 Sportstudios hierzulande mehr als fünf Millionen Kunden. In Berlin gibt es etwa 400 Studios – 250 davon im Verband.

Fitness-Studios sind heute eher Wohlfühltempel als „Muckibuden“, sie gehen mit der Zeit, und setzen – neben dem herkömmlichen Kraft- und Ausdauertraining – verstärkt auf ganzheitliche Körpertechniken. Immer mehr Körperbewußte, ein Großteil davon Frauen, wenden sich Yoga und Tai Chi zu. Nicht zu vergessen die Wellness-Welle mit Ayurveda und Fußreflexzonentherapie.

Das Meridian Spa in Spandau ist ein solcher Wohlfühltempel. Man setzt auf Optik und Gesundheit, wirbt mit ergonomisch geformten Räumen und warmen Farben. Sonnengelbe Wände, Terrakotta-Fliesen, Buddhastatuen und Shiva-Bilder. Hinzu kommt ein Mix aus Sport, Fernost-Bewegung, Massagen und Sauna. Das Meridian Spa erstreckt sich über 9000 Quadratmeter, die sich auf drei Etagen hoch oben in einem Einkaufscenter verteilen. All das gibt es natürlich nicht umsonst: Meridian bewegt sich im Luxussegment.

Ebenso wie das vornehme Holmes Place in Mitte. Während man bei Meridian die Preislisten ganz ungeniert im Faltblatt einsehen darf, regelt sich das Finanzielle am Gendarmenmarkt über das persönliche Kundengespräch. Über Geld spricht man nicht, lautet das Gebot der Vornehmheit.

Tatsächlich verströmt der zu einer britischen Kette gehörende Club eine wohlige Exklusivität. Vom Eingangsbereich kann man, wenn man sich bückt, durch eine schmale Sichtachse direkt in den Pool schauen. Bei Holmes Place setzt man auf die individuelle Fitness: 150 Stunden in der Woche werden im Personal-Training abgerechnet – Tendenz steigend.

Die Clubchefin weiß, warum. „Die Leute haben einen persönlichen Ansprechpartner, mit dem sie effektiv an ihr Trainingsziel gelangen, der sie motiviert und auch in der Ernährung berät, das zahlt sich aus.“ Viele Vielbeschäftigte kämen hierher, die hätten es gern, wenn sie ein ganz genauer Zeit- und Trainingsplan erwarte, mit hoher Effizienz. „Wir leben über Mitgliederbindung und Empfehlungen“, sagt die Managerin.

Für Beate Cuson stellt sich die Frage nach Fit- und Wellness gar nicht. „Zu mir kommen viele, die in Fitness-Studios Yoga probiert haben und es nun richtig lernen wollen.“ Cuson leitet das Moveo-Yoga-Studio in Kreuzberg, mit zehn Lehrern und 40 Kursen pro Woche. Das Moveo gehört zu den schönsten und meistbesuchten Yogastudios der Stadt, von der Dachetage eines Fabrikgebäudes schaut man in den Himmel über Berlin.

Yoga ist gefragt. Cuson glaubt, daß das mit einer erstarkten inneren Sinnsuche zu tun hat, die äußerlich nun auch schick sein darf. „Früher gehörte Yoga in die Esoterik-Nische, mit Räucherstäbchen und Flokatiteppich“, sagt sie, „das hat sich in den letzten fünf Jahren geändert.“ Wenn Stars wie Sting und Madonna Yoga machen, dann bleibe dies nicht ohne Wirkung.

Yoga sei ein Weg, ein Zur-Ruhe-Kommen, und auch eine Herausforderung an den Übenden. Viele würden Yoga aus körperlichen Gründen anfangen, weil sie beweglicher und schöner werden wollen, und später erst zu den „spirituellen Hintergründen“ gelangen. Beate Cuson findet das in Ordnung. „Heute gibt es die traditionellen, geschlossenen Yoga-Stile und die modernen, die kommen dazu.“ Mit Wellness oder Fitness, so Cuson, habe Yoga nichts zu tun.

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©Jana Sittnick 2005 / Welt am Sonntag

Artikelbild: Medizinhistorisches Museum