Jenni Zylka Text

Männer beim Nackt-Yoga

Jenni Zylka schreibt ein amüsantes Buch über Spinner, Spelunken und Freundschaft

JENNI_ZYLKA_BildJudith und Tine hassen Tattoos. Einmal droht die trinkfeste Tine sogar, Judith im Suff ein Einhorn auf die Schulter zu ritzen oder lieber gleich ein „Tribal“ auf die Wade. „Dann kannst du nie wieder Miniröcke tragen!“ – so der hämische Freundinnenkommentar.

Judith und Tine sind knallharte Kreuzbergerinnen, zugezogene, versteht sich, die irgendwann beschlossen haben, das Leben komisch zu finden, und sich mit kindergeburtstagsmäßiger Albernheit und strammer Selbstironie durchschlagen. Und das tun sie ziemlich gekonnt, in dem vor kurzem erschienenen Debütroman von Jenni Zylka. „1 000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kann“ erzählt von flotten Mittdreißigerinnen, die Tätowierte veräppeln, die Tage und Nächte in einer großen Stadt voller Abenteuer verbringen, und die das eigene Scheitern immer von neuem als Chance begreifen.

Jenni Zylka hat ein sehr amüsantes Buch über Lebensstil, Spezialistentum und den Wert von Freundschaft vorgelegt, und glücklicherweise darauf verzichtet, ihre Heldin in einen Berlin- oder Frauenroman zu packen. Also: keine Szene-Hypes oder Wie-angele-ich-mir-einen-Millionär-Fragen, dafür viel Musik-Details und krude Witze. Zylka, die als Teenager „verklemmt und hässlich“ war, in einer Psychobillyband namens „Sunny Domestosz“ spielte und mit ihren Freundinnen nie über Schminke geredet haben will, hat sich für die „Geschichte von einer netten Frau“ entschieden, „die ich auch mal gern anrufen würde“. Mit ihrer Heldin Judith Herzberg, die für ein TV-Morgenmagazin arbeitet, an ihren freien Tagen mit dem schwulen Freund Kart auf einer Bahn fährt, und spätnachts Männer aufreißt, die am nächsten Tag ihre Wohnung putzen, zeigt sich Zylka selbst als das sonderbare, nette Mädchen.

Ähnlichkeiten zwischen Judith Herzberg und Jenni Zylka sind augenfällig. Zylka ist mit 19 aus der Provinz – Osnabrück – ins swingende Berlin gezogen, hat beim ZDF-Morgenmagazin nachts gearbeitet, hat 1 000 Platten zu Hause, vieles davon „Sixties-Kram“, und ungefähr 700 Filme auf Videokassetten: alle Hitchcocks, alle Monthy-Pythons, alle Emma-Peel-Folgen. Die Journalistin, die unter anderem für die taz und das Stadtmagazin tip schreibt, wurde voriges Jahr vom Ullstein Verlag angesprochen, ob sie nicht mal Lust hätte, was Längeres zu schreiben. Dann schrieb sie etwas Längeres, und es meldete sich der Rowohlt Verlag. Der gefiel ihr besser, und sie schrieb in einem halben Jahr ihr Buch runter. „Ich weiß nicht mal genau, wie man Bücher schreibt“, sagt Zylka, „ich bin Journalistin, und keine Autorin. “

Als Autorin hatte sie Erfolg: Im Mai kam ihr Debüt heraus, und jetzt erscheint es in der zweiten Auflage. „Ich denke, ich bin pessimistischer als meine Figur, ich bin nicht so lustig, wie man meinen könnte. “ Der Drang, das Komische in Worte zu fassen, ist allerdings allgegenwärtig. In den frühen Neunzigern, als Jenni Zylka ein bisschen Linguistik studierte und an Textproduktion noch nicht zu denken war, stand sie im BKA auf der Bühne und erzählte Geschichten, machte Stand-up-Comedy. Doch die Bühne behagte ihr nicht, noch weniger die Kumpelei fremder Leute, die mit dem lustigen Mädchen anstoßen wollten. Nun hält sich die „Nicht“-Autorin lieber im Hintergrund und arbeitet an ihrem nächsten Buch.

Vor zehn Tagen hat Jenni Zylka mit einer Lesung im Roten Salon ihre Berliner Lesereihe beendet. Gewandet in ein rotes Polyester-Kleid im 60er-Stil, joggte sie merkwürdig rastlos durch ihren Text, immer bereit zu Selbstironie, etwa wenn sie sagte: „Ich fang jetzt mal mit der langweiligsten Stelle an. “ Gerade mal eine Stunde dauerte der Abend, inklusive Lesung und Diashow (Frau Zylka zeigte selbst gemachte Fotos von zum Beispiel Omis in der U-Bahn). Sehr schön war auch, wie die Zeichnerin Imke Staats spontan Comics zum Text auf eine Folie krakelte, die dann per Polylux an die Wand geworfen wurden. Im Publikum saßen viele Frauen um die 30. Es ging ihnen gut an dem Abend: Viel wurde gejuchzt und gequiekt, etwa als Jenni Zylka die Passage über eine Freundin vortrug, die im Haus gegenüber Männern beim Nackt-Yoga zusehen konnte und das Treiben kurzerhand mit der Digital-Kamera dokumentierte.

Jenni Zylka: „1 000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kann“, Rowohlt, 2003

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©Jana Sittnick 2003 / Berliner Zeitung

Artikelbild: Promo