Mauermuseum Text

Ironiefreie Zone 

Alexandra Hildebrandt, Chefin des Mauermuseums, betreibt ein merkwürdiges „Gedenken“. Am Checkpoint Charlie hat sie die Mauer neu errichten lassen, mit 1000 Holzkreuzen. 

Von den Kreuzen soll es vorab keine Fotos geben, und auch keine detaillierte Beschreibung. Das will Alexandra Hildebrandt nicht. Die Fotografin fragt, ob sie denn den Bagger fotografieren dürfe. Ja, sie darf, und dann plötzlich, Frau Hildebrandt hat es sich anders überlegt, doch auch die Kreuze „Das ist dann ganz exklusiv für Sie“, sagt sie, „das hat keiner sonst in Berlin.“ Die Davor-Fotos, ein Geschenk, irgendwie.

Die heutige Eröffnung, die Errichtung der falschen Mauer am Checkpoint Charlie, soll eine Überraschung sein, für die Touristen, für die Widersacher, für die Öffentlichkeit. Deklariert als Kunstaktion, mit 200 Metern originaler DDR-Mauer und Holzkreuzen. Ohne Todesstreifen, mit bunten Bildern.

Einige Tage vor ihrem großen Coup wirkt Alexandra Hildebrandt unzufrieden und verunsichert. Als wüsste die Chefin des Mauermuseums nicht genau, wie sie sich wappnen soll gegen die Presse. Die zierliche Frau zögert bei unserem Treffen, sie ist misstrauisch, wittert in jeder Frage einen Angriff, fürchtet, ausgetrickst zu werden. Das Diktiergerät bleibt aus. Sie will nichts Falsches sagen.

Frau Hildebrandt indes ist PR-Profi genug, um zu wissen, dass ihr jede Berichterstattung Aufmerksamkeit sichert. Und die will sie jetzt, da die „Mauer“ da ist, ihr erstes eigenes Projekt, das sie ohne ihren Ehemann und Mentor umsetzt. Und darum erlaubt sie ausnahmsweise vorab den Zugang zur verhüllten Baustelle.

Das Grundstück teilt sich in zwei Brachen, die diesseits und jenseits der Kreuzung Zimmer- und Friedrichstraße liegen. Es gehört der Berliner Volksbank, Hildebrandt hat es bis Jahresende gepachtet. Bis vor kurzem standen hier noch Rummel- und Frittenbuden. Das mit den Buden ist vorbei, meint die Mauer-Aktivistin, eine Müllkippe darf der Platz nicht länger sein, dafür habe sie sich stark gemacht.

Auf dem Boden sind kleine Kiesberge aufgeschüttet, Metallspitzen stecken in der Erde. Darauf sollen die knapp zwei Meter hohen schwarzen Holzkreuze montiert werden. 1.065 Kreuze, für ebenso viele vom Mauermuseum gezählte Opfer der deutsch-deutschen Teilung. Die Symbolik erinnert an die Soldatenfriedhöfe von Verdun. Die Initiatorin hat eine andere Assoziation: „Wir bringen damit das Pendant zum Holocaustdenkmal“, sagt sie.

Dass der Vergleich degoutant ist, kommt ihr nicht in den Sinn. Sie sucht Legitimation, stützt sich darauf wie auf eine Säule. Angesichts des Vorwurfs, ihre „neue“ Mauer sei geschichtsverklitternd und unwahr, weil sie gar nicht dort aufgebaut sei, wo die echte Mauer stand, da sagt sie, dass das Holocaust-Denkmal auch nicht dort stünde, wo der Holocaust stattgefunden hat. Sie sagt das mit ruhiger selbstverständlicher Miene, und man sucht vergeblich Zynismus oder Verzweiflung darin. Die Frau meint es ernst.

Für die Fotografin posiert Alexandra Hildebrandt auf ihrer Baustelle, vor der weißen Mauer, sie streckt das Kinn vor, hebt den Oberkörper, geht in die Knie, guckt nach links, nach rechts, zum Himmel. Sie mag das Fotografiertwerden nicht, es ist ihr peinlich. In Deutschland, meint sie, ginge alles nur danach, wie man aussieht.

Die 43-jährige Ukrainerin hat den Fall der Mauer nicht miterlebt. Erst Monate später kam die Malerin mit ihren Bildern nach Berlin, stellte sich auf Anraten von Freunden dem Mauermuseumschef vor, weil sie einen Ausstellungsort suchte. Sie malte „impressionistisch-abstrakt“. Hildebrandts Urteil war vernichtend, er soll gesagt haben, alle ihre Bilder seien schlecht. Kein guter Auftakt für einen Flirt. Die Malerin aus Kiew fand anderswo ihre Galeristen. Dann fuhr sie zurück in die Ukraine. „Ich hatte es gut dort, ich wollte nicht weg“, erinnert sie sich. Doch der Mann aus Berlin rief sie täglich an, über drei Monate hinweg. „Da bin ich eben weich geworden.“ Die beiden trafen sich in Moskau, und dann kam Alexandra ein zweites Mal nach Berlin. 1995 heiratete sie den 45 Jahre älteren Rainer Hildebrandt.

Es wurde in der letzten Zeit viel Kritik geübt an der Witwe des Mauermuseumsbegründers, von Berliner Senatoren, Baustadträten, Denkmalschützern und Gedenkstättensprechern. Und die Lokalpresse nahm mit sichtlicher Detailfreude an den Auseinandersetzungen rund um den Checkpoint Charlie teil. Im Sommer gab es den Streit mit den „falschen Soldaten“ – Schauspielstudenten hatten sich in NVA-Uniformen und für Geld von Touristen fotografieren lassen, worauf Frau Hildebrandt, erzürnt über die „geschmacklose“ Aktion, die Checkpoint-Kontrollbaracke vor dem Museum mit Plastikmüllsäcken verhängen ließ. Die Baracke ihrerseits ist ein Imitat. Um Authentizität geht es nicht am Checkpoint. Deshalb bleibt es auch im Herbst spannend am oberen Ende der Friedrichstraße, dort, wo der Glamour des neuen Berlin nicht hingelangt: Am Sonntag wird Alexandra Hildebrandt die Berliner Mauer wieder errichten, und das wirbelt viel Staub auf. Ob die Aktion tatsächlich ein Spektakel wird oder nur stellvertretend für wahre Action zum Berliner Minidrama zwischen Initiatorin, Politikern und Journalisten mutiert, wird sich zeigen.

Unbedarfte Berlin-Besucher werden es vielleicht toll finden, wenn sie nun auch einmal die „Mauer“ sehen und anfassen können. Nicht am historisch korrekten Standort, sondern um 50 Meter verschoben, und ohne Selbstschussanlage. Danach gehen sie vielleicht ein Eis essen oder kaufen sich beim Trödler eine nachgemachte Mütze der Roten Armee.

Als wir die eingerüstete und mit weißen Plastikplanen verhüllte Baustelle verlassen, ist ein Wachmann zur Stelle. Er nickt seiner Auftraggeberin devot lächelnd zu und schließt die Zauntore hinter uns. Kein unbefugter Blick soll die Vorbereitungen stören, selbst nachts patrouilliert privater Wachschutz vor dem Erinnerungsland in der menschenleeren Gegend. Wer da mit Block und Stift hantiert, macht sich verdächtig.

Was den Mauer-Tourismus betrifft, wird die neue falsche Mauer der Alexandra Hildebrandt ganz sicher eine Fortsetzung des Gedenk-Geschäfts im Mauermuseums sein: Hier wird die Geschichte der Teilung Berlins zur Zeit des Kalten Krieges „lebendig“, hier rückt sie zum Anfassen nah an den Betrachter heran. Dass diese Nähe penetrant ist, weil sie keinen Freiraum lässt zwischen der individuellen Wahrnehmung und dem Bild des historischen „Ereignisses“, wird jene nicht stören, die sich auch mit verkleideten NVA-Offizieren fotografieren lassen. Deshalb wird die „Mauer“ wohl ein Publikumsmagnet wie das nur wenige Meter entfernte Mauermuseum. An Spitzentagen kommen bis zu 3.500 Touristen, zahlen 9,50 Euro Eintritt und besichtigen das obskure Sammelsurium von Schautafeln, Uniformen, Fluchtautos und Kinderbildern.

Alexandra Hildebrandt fühlt sich von den Bemerkungen und Vorwürfen aus Politik und Kultur gekränkt. Ihre Mauer will Kunstwerk sein, Kunstdenkmal, Denkanstoß. Sie hat doch eine gute Absicht. Sie versteht nicht, wieso andere das nicht gut finden. Begriffe wie „Disneyland“ und „Kitsch“ sind auf ihr Projekt gefallen, unter anderem aus dem Munde Walter Mompers, von kommerziellem Kalkül war die Rede, und von unangemessenem Umgang mit dem Mauer-Thema.

Alexandra Hildebrandt kann den Vorwürfen nur ihre Gekränktheit entgegen setzen. Sie versteht den Ärger nicht. „Wir haben keinen Alleinanspruch auf das Erinnern“, sagt sie genervt, „sollen die anderen doch ihr Gedenken machen. Aber da kommt nichts.“ Damit allerdings hat sie Recht: Den politischen Entscheidungsträgern, den Senatoren für Stadtentwicklung und Kultur, fehlt es bis heute an einem einheitlichen und übergreifenden Konzept für das Gedenken. Alexandra Hildebrandt erzählt gern Geschichten: Die vom kleinen Bären, der zum See geht, und auf der Wasseroberfläche sein Spiegelbild erblickt, das er mit dem Knüppel schlägt. Aber als er es anlächelt, lächelt das Bild zurück. In den Feinden etwas Positives zu sehen und Contenance zu bewahren, das habe sie von ihrem verstorbenen Mann gelernt. „Er war unglaublich glücklich, wenn er mir etwas von seinem Wissen weitergeben konnte.“

Und sie war eine dankbare Schülerin: Auf dem Dachboden und im Keller der gemeinsamen Wohnung entdeckte sie Papiere, und die haben sie nicht mehr losgelassen. Das „Thema“, der Kampf gegen die deutsche Teilung, dem sich Rainer Hildebrandt verschrieben hatte, wurde auch ihr Kampf. Vierundzwanzig Stunden am Tag seien sie zusammengewesen, immer im Dienst der Mission, selbst im Urlaub habe ihr Mann zuerst nach Deutschland angerufen und Telefon- und Faxnummer des Hotels durchgegeben, um rund um die Uhr erreichbar zu sein. Ihr Mann hat ihr die Welt geboten, und er hat sie behütet. „Als er da war, fühlte ich mich wie unter einer Haube“, gibt Alexandra Hildebrandt zu, „ich kannte die schlimmen Ecken von Berlin nicht.“ Jetzt, da er weg ist, muss sie sich selbst beschützen.

Bis Jahresende darf die „Mauer“ stehen – das Bezirksamt Mitte hat „Genehmigungsverzicht“ geleistet, da Alexandra Hildebrandt sie als „Kunstaktion“ deklariert hat. Von den Holzkreuzen war beim Amt nie die Rede. Hildebrandt hofft, dass die Mauer länger bleiben kann, dass sie Sponsoren findet und eine offizielle Gedenkstättenanerkennung. Private Wünsche? Sie denkt lange nach. „Ich habe keine Ansprüche, ich bin glücklich bei der Arbeit“, sagt sie. Ihr Blick ist traurig.

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©Jana Sittnick 2004 / taz