Flying Steps Text

B-Boy und Chronist

Amigo, Gründer der „Flying Steps“, setzt auf toughe Performance und Kulturtransfer. Sein „Urban Street Dance“ erzählt von Tanzkunst und auch von türkischer Geschichte. 

Ein Mann spielt Trompete, ein zweiter Schlagzeug, ein dritter arbeitet mit einem Pinsel: Schwarze Linien und Schnörkel schlängeln sich über das Weiß einer Leinwand und folgen der Musik. Ein Tänzer übernimmt, als der Maler aufhört: Er vibriert um die eigene Achse, mit katzenhaft geschmeidigen, minimalistischen Bewegungen. Sie erinnern an die „Moves“ des Breakdance. Nur langsamer, wie in Zeitlupe.

Mit dem Stück „Triple Destan“ treten Amigo, Zast, Ritsche und Christian Marien zum ersten Mal im Rahmen der Berliner „Tanznacht“ in der Akademie der Künste auf (siehe auch Seite 27). Nach ihnen zeigen „Mio und Robo“ ihre „Animatronik“-Performance, einen Bewegungsstil, der Menschen wie Roboter tanzen lässt. „Breakdance“ hieß das in den 80er-Jahren. „Urban street dance“ heißt es heute, als Sammelbegriff für die vielen raffinierten, sich ständig weiter entwickelnden Spielarten des B-Boying. Bisher lag das weitestgehend im blinden Fleck der zeitgenössischen Tanzszene – das will diese Tanznacht ändern – mit gutem Grund.

„Triple Destan“ ist keine akrobatische B-Boy-Show, wie man sie auf den „Battles“, den Meisterschaften der Szene, sehen kann. Tänzer wie der 32-jährige Amigo, die mit dem B-Boying groß geworden sind, wollen weiter gehen, über den gewohnten Rahmen hinaus und rein in die Theater. „Wir machen etwas Einzigartiges in dem Stück“, sagt er ohne Hochmut, „wir setzen einen Gegenpart zur Hiphop-Kultur: die türkische Tradition.“

In „Triple Destan“ fließen traditionelle Harmandali-Musik und Zeybek-Tänze ebenso in die Performance ein, wie B-Boy-Moves, Neue Musik und Kalligrafie-Elemente. „Destan“ heißt auf Türkisch Geschichte. „Jeder von uns erzählt eine eigene Geschichte“, so Amigo, „und ist doch im Raum mit den anderen.“ Zum Proben treffen sich die vier in der Atelierhalle eines befreundeten Bildhauers am Stadtrand. Idyllisch ist es, mit Dorfaue, Lichterketten und einem kleinen See hintendran.

Amigo sitzt in der Halle, schmal, freundlich und ernst. Sein bürgerlicher Name ist Kadir Memis. Mit zehn Jahren kam er von einem Dorf in der Türkei nach Berlin-Wedding. „Ich war so enttäuscht von den Leuten, die waren wie Betonwände“, erinnert er sich. Beide Sprachen sprechen zu müssen, Türkisch und Deutsch, zwängte ihn ein. „Ich fühlte mich zerrieben.“ Eines Tages sah er auf dem Schulhof jemanden mit weißen Handschuhen, der merkwürdige Bewegungen machte: Breakdance. Da wurde alles gut.

Kadir entdeckte die Hiphop-Kultur, Michael Jacksons „Moonwalk“, und Kultfilme wie „Beat street“. Sein großes Vorbild wurde „Pop ’n‘ Taco“, Tänzer der „Electric Boogaloos“ und Michael Jacksons langjähriger Tanztrainer. Kadir wollte B-Boy werden, und er übte und übte, jeden Tag, vor der Schule, auf der Straße, in Jugendclubs. „Ich hab nichts anderes mehr gemacht. Noch vor dem Einschlafen hab ich überlegt, wie ich meine ,Moves‘ verbessere.“ Das war 1987. Aus Kadir wurde Amigo, bereit, den Traum des Tänzers zu leben.

1993 gründete er gemeinsam mit einem Freund die B-Boy-Crew „Flying Steps“. Die Gruppe ist heute mehrfacher Weltmeister im B-Boying, hat Sponsoren wie Nike und Redbull und einen Eintrag im „Guinness-Buch der Rekorde“: für 62 Drehungen auf dem Kopf (Headspins), ohne abzusetzen, ausgeführt von B-Boy Benny. Die „Flying Steps“ performen ihre Shows auf großen Firmenfeiern und gutbezahlten Events. Die Eröffnung der Fußball-WM war ein Highlight.

Dass die B-Boys auch Service liefern müssen, und ihr Programm auf die Bedürfnisse des Kunden „zurechtschneidern“, stört Amigo nicht, im Gegenteil. „An manchen Wochenenden machen wir fünf Shows hintereinander“, schwärmt er, „und jede Show ist einzigartig.“ Das sei jedes Mal ein Glücksgefühl.

Heute geht es Amigo nicht mehr um Rekorde und Battles. „Ich will meine Ideen auf neuen Boden bringen, als Choreograf.“ Eine Zusammenarbeit mit dem Tanzhaus NRW und dem Monsunturm Frankfurt gibt es bereits. Und nun die Einladung zur „Tanznacht“, dem Podium der zeitgenössischen Tanzszene, auf Initiative der neuen Kuratorin Heike Albrecht. Als Gründer der Tanzplattform „Dance unity“ tritt Amigo für eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der „Urban street dance“-Szene ein. Er ist, so scheint es, auf dem Weg, seinen nächsten Plan zu verwirklichen.

Ruhig wirkt er, und hochkonzentriert. Doch etwas pulsiert in ihm, vielleicht die Leidenschaft, sich auszudrücken, in immer neuen Formen.

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©Jana Sittnick 2000 / taz