Monique

Beste Freundinnen

Vor kurzem habe ich Monique wieder getroffen. Sie hat sich kaum verändert. Als Kinder gingen wir zusammen auf die 3. Polytechnische Oberschule (POS) im Prenzlauer Berg. Monique und ich waren Schulfreundinnen und Schlüsselkinder von der ersten bis zur dritten Klasse, wir bekamen ordentlich Bienchenstempel und durften nach Schulschluss nach Hause gehen, und mussten nachmittags nicht, wie die anderen, im Hort mit stumpfen Scheren Blumen aus Buntpapier scheiden. Wir hatten es gut.

Jeden Nachmittag waren wir unten, auf der Straße, Metzer Straße, Straßburger Straße, Wasserturm. Gummihopse, mit Kreide malen, Käfer zerquetschen, auf der Spielplatzschaukel sitzen und Geschichten erzählen. Im Frühling brachte Monique manchmal ihren Kater Jacky mit nach draußen, an einer Katzenleine. Das Katzenhalsband war mit Straß besetzt und Jacky hätte seinen schlanken Hals jederzeit heraus ziehen können. Tat er aber nicht. Jacky war schneeweiß und sehr schreckhaft. Bei Krawall wäre er sofort ins Haus zurück gerannt und hätte auf den Teppich gemacht. Sagte jedenfalls Monique.

Die Schönhauser und Prenzlauer Allee waren verbotenes Terrain, unsere Eltern hatten mit Stubenarrest gedroht, falls sie uns dort erwischten. Wir waren trotzdem mal da, um zu gucken, aber da gab es nur graue Fahrbahn und Autos, und das alte gusseiserne Pissoir am Senefelder Platz. Das hat so nach Urin gestunken, da sind wir schnell wieder weg. Auf der Kollwitzstrasse hab ich mal zusammen mit Holger Krall kalte Zigarettenkippen aufgesammelt und in den Mund gesteckt. Wir dachten, so wäre Rauchen.

Der Wasserturm war ein begrünter Hügel mit Turm, Spielplatz und Hundewiese, und wenn wir hinauf liefen, konnten wir hinunterschauen zum Alexanderplatz mit Fernsehturm, und das war das Größte. Wir spielten Fange, Federball oder saßen einfach rum. Einmal kam ein Mann aus den Büschen und schlug uns Mädchen vor, die Hosen runter zu ziehen. Wir mussten lachen und liefen weg. Angst hatten wir nicht, vielleicht, weil da Jungs in der Nähe waren.

In meiner Wasserturm-Zeit lernte ich das Wort ficken. Es war mit schwarzer Farbe auf eine Brandmauer unserer Backsteinschule gepinselt, und Holger Krall erklärte mir die Bedeutung. Holger kam aus einer kinderreichen Familie, hatte fast nie seine Hausaufgaben, und stellte immer was an. Unsere Lehrerin Frau Standowski stempelte ihm nur selten Bienchen in sein Heft. Jedes Mal, wenn sie ihn ermahnte, musste sie seufzen. Sie hatte mehrere Elternbesuche bei Kralls gemacht und wusste, was bei ihm zuhause los war.

Holger klaute Frau Standowskis Stempelkissen, versteckte den Turnbeutel von Nancy Albrecht, und feuerte beim Schulessen sein Sauerkraut mit der Gabel quer durch den Raum. Der Aufsichtslehrer erwischte aber nicht ihn, sondern Timo Stolte, als der nur ein einziges Mal zurück feuerte, und der musste dann nach Schulschluss den Speisesaal wischen. Timo hat Holger zuerst Prügel angedroht, sich dann aber doch nicht getraut.

Wir waren eine Schlüsselkind-Clique, Monique, Jane Rose, Jean-Pierre und ich. Jane Rose war ein stilles großes Mädchen, ihre Eltern machten Kunst, und sie sprach nicht gern darüber. Vielleicht, weil das keine Arbeit war, wie die anderen Eltern sie machten. (Mein Vater war Elektromonteur, meine Mutter Röntgenassistentin. Moniques Vater hatte einen kleinen Handwerksbetrieb, ihre Mutter half vormittags im Büro – was in den Augen meiner Mutter kein „richtiges Arbeiten“ war.)

Als ich Ende der dritten Klasse wegzog (meine Eltern hatten sich für eine Wohnung in Marzahn entschieden, mit Zentralheizung und fließend warm Wasser), gelobten Monique und ich, beste Freundinnen zu bleiben. Nach drei Monaten kam ich in mein altes Viertel zurück, wir kletterten den Südhang des Wasserturms hinauf, und ältere Jungs bewarfen uns mit Erde. Ich wusste, ich gehörte nicht mehr dazu. Danach kam ich nicht mehr zum Wasserturm.

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©Jana Sittnick 2014