Kategorie-Archiv: BERLIN – BLOG

Uga-Uga am See

Baracke mit aufgemalten bunten Blumen

Wir sitzen am Ufer und reden über agiles Führen. Hinter uns, aus der kahlen Grünanlage, dringen Uga-Uga-Rufe. Uga-Uga, Uga-Uga, tief und kehlig, immer wieder. Das Uga-Uga kommt näher, es gehört zwei Männern Mitte Zwanzig, und ihren Bierflaschen. Als sie an unserer Parkbank vorbeikommen, fordern sie eine Einschätzung, ob ihr Outfit okay sei, für die Party. L. sagt ja, alles ok. Echt jetzt,  lallt der eine, L. sagt ja, völlig in Ordnung. Darauf der andere: Keule, allet Roger, ha ick do jesaacht! Sie wünschen uns einen schönen Abend.

Alexanderplatz

zwei frauen auf dem alexanderplatz in den 60er Jahren

Mädchen in Petticoats, Männer mit Nickelbrillen, Autos, Bahnen, Pferdewagen. Die Ausstellung „Treffpunkt Alexanderplatz“ im Alexanderhaus zeigt Fotografien von Thomas Billhardt aus den Jahren 1958 bis 1961, sie zeigt die Menschen in Ost-Berlin vor dem Mauerbau; und lässt Vergangenes für den Moment der Anschauung lebendig sein.

Der Alexanderplatz, wie er vor dem sozialistischen Umbau der späten Sechzigerjahre aussah, ist Billhardts Spielplatz und Sujet: Ein Rasenrondell mit Kreisverkehr, das von Autos umfahren und von Straßenbahnen durchkreuzt wird. Ein Ort, gefüllt mit Menschen und Gedanken – und ein großer, weiter Raum, den es heute in der Form nicht mehr gibt.

Der Fotoreporter Billhardt verzichtet bei seiner Annährung an den Ort auf dramatische Inszenierungen und arbeitet mit dem flüchtigen Moment der Straße: Er fokussiert Fußgänger im Hauptstadtbild, mit Frisuren, Taschen und Kleidern, die heute merkwürdig erscheinen, Mütter mit Kindern, schlendernde Paare, wartende Menschen.  Weiterlesen

Magische Reiskugel

Mit A. bei einer Ausstellungseröffnung. An den Wänden hängen abstrakte Tableaus, Mixed Media Arrangements – so nennt es der Künstler – aus Metall, Acryl und Sand. Wir begrüßen J., bewundern seine Arbeiten, begutachten sein Publikum. Eine Frau filmt, ein Dj legt Ambient auf, es gibt Sushi und Sekt, die Stimmung ist gut. / Sie hätte noch Lust auf Lachs, meint A. nach ein paar Runden Sushi, aber ohne Reis: Ich meine, sie könne den Fisch runter essen und den Rest liegen lassen. Sie fackelt nicht lange, und zieht mit ihren Stäbchen den Lachs vom Reis. Später sehe ich aus dem Augenwinkel, wie eine Frau mit dickem Juliette-Gréco-Lidstrich über den Augen den fischlosen Reis aufpickt. Ihr langhaariger Begleiter schaut lächelnd ins Nirwana. Die beiden sehen aus wie hungrige Tauben.

Freiheit, du wildes Stück!

pink glitzertasche

In der Straßenbahn stadtauswärts sitzt neben mir eine füllige Frau mit Kunstfingernägeln, eine zweite sitzt mir gegenüber. Die eine tippt mit dem Lila-Langnagel auf ihr Handydisplay (klack klack klack), die andere blättert mit nachtblauen Nägeln mit Silbersternchen in ihrem Kaufland-Prospekt. Die Finger der Frauen sind ein bisschen wurstig und laufen in spitzen Krallen zu. Sie fallen auf im grauen Gesamtbild. Alltag überall, Routine, Normalität, doch an den Händen ist Disko: Freiheit, du wildes Stück. Ob die kleine Flucht gelingt? Und wie geht da Putzen, wie geht Sex? (Mal jemanden fragen, der sich auskennt). Meine Nägel sind kurz, unlackiert und an den Seiten rau. Kaum sexy. Putzen aber geht.

Arbeit und Trost

zwei kleine Flaschen Sekt

Ein Mann hält seine Ledertasche akkurat auf den Knien. Unruhig schaut er umher, murmelt, schnaubt in sein Stofftaschentuch, zieht einen Pikkolo Rotkäppchensekt aus der Tasche, nimmt einen Schluck, steckt die Flasche wieder ein, zieht seine Fäustling-Handschuhe an und steigt aus der Bahn. Es ist an einem Dienstagmorgen 8.30 Uhr am Berliner Ostbahnhof. Ich sehe den Mann häufiger, irgendwann spreche ich ihn an, ob er auch zur Arbeit fahre. Arbeit??? Die hätte er schon lange nicht mehr, bricht es aus ihm heraus, die hätten doch alles dicht gemacht in den Neunzigern. Früher, da fuhr er jeden Morgen ins Ausbesserungswerk der Bahn, am liebsten Frühschicht, 4.30 Uhr aufstehen, Züge warten, nachmittags die Vögel füttern. 23 Jahre lang, nur zweimal krank gewesen (Blinddarm, Bronchitis). Und immer noch täglich die Strecke? Ja, was denn sonst, zuhause könne er nicht bleiben, da käme ja die Decke runter. Also Tag für Tag um 6 Uhr auf, Brote schmieren, Thermosflasche Tee einpacken, so wie früher, Mantel an und los. Manchmal einen Pikkolo, gegen das Grau.

Hallelujah Jordan

Halt jetzt endlich deine blöde Fresse, Jordan! – schreit die alte Frau auf dem Fahrrad. Ihre wütende Stimme klingt nach Schnaps und Zigaretten. Wie ein Hammerschlag bricht sie in die Nachmittagsruhe ein, die wenigen Parkläufer gucken irritiert. Jordan ist einer der drei grauen Pudel, die neben dem Fahrrad der Frau herlaufen. Womit er ihren Groll erregt hat, bleibt unklar. / Reglos liegt der Ausflugsdampfer an seinem mit Plastikpalmen gesäumten Steg. Im Bug des Dampfers überwintert ein kniehoher Weihnachtsbaum, Lichterketten blinken, vor die Fenster des Gastraumes sind Gardinen gezogen. Am S-Bahnhof spielt jemand mit E-Gitarre „Hallelujah“ von Leonard Cohen.

Frühstück Haus bei Eko

Im „Frühstück Haus“ bei Eko  sind die Schaufenster mit Papier zugeklebt, die Türen verrammelt. Das Farbfoto mit den Orient-Speisen an der Außentafel (Schafskäse, Oliven, Sucuk, Pide) ist verblasst. Frühstück Haus. Frühstückshaus. Haus des Frühstücks? Mit ohne Genitiv. / Ein paar Ecken weiter hat Die Blaue Mühle dichtgemacht, eine Altberliner Kneipe. Noch bis vor kurzem liefen hier vor allem am Wochenende neben den üblichen Kneipentrinkern jede Menge Künstler auf, Abenteurer und Verrückte. Die Luft war dick, der Schnaps scharf, der Ton rau. Das magische Zentrum der Blauen Mühle war aber nicht der Sprit, sondern Barfrau Joy (viel Leben, viel  Make-up, viel Dekolleté). Joy verströmte eine exklusive Mischung aus mütterlicher Wärme, Lebensklugheit und dem Sex-Appeal verruchter Nächte. Sie war die Seele der Mühle. Stammgäste und Besucher kreisten gleichermaßen um sie wie Planeten um die Sonne. Zu fortgeschrittener Stunde griff die fabelhafte Joy gern mal zum Mikrofon und sang auf Gloria Gaynor, Baccara oder Chic. Das ist nun vorbei.

Mittagshitze

träumen in der Mittagshitze

Ich stehe im dunklen Korridor der Altbauwohnung, Mittagshitze hält die Zeit an, auf einem Sonnenstrahl flirren Staubkörnchen. Mit offenen Augen träume ich von den Hunden meines Onkels, wie wir durch das Feld hinter der Pferdekoppel jagen. Die Hunde heißen Fips und Dolly, sie springen an mir hoch und lecken meine Hand, ich belle mit ihnen um die Wette. Dann reißt mich Oma Gisela aus meinem Traum. Jana, komm mal,  ruft sie, und gibt mir ein Stück Streuselkuchen. Sag´s aber nicht deiner Mutter.