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Papieroffensiv

Die Galerie oqbo zeigt, wie modern Papierzeichnungen sein können  

Stylemag_BIldIn einer kleinen fensterlosen Kammer ist David Curto damit beschäftigt, schwarze Bilder aus weißen A4-Bögen zu schneiden und an die Wand zu kleben. Die Ausstellungsbesucher tun es ihm gleich, alle dürfen mitmachen, die Stimmung ist gut. Curto hat einen speziellen Sinn für Humor, seine am Computer gezeichneten, cartoon-ähnlichen Schwarzweißvorlagen zeigen Dinge des täglichen Lebens: Papstgesicht, Raketen, magische Pilze oder Stillleben, zum Beispiel einen Tisch mit Kaffeetassen, Handy und Revolver, daran zwei nackte Männer ohne Kopf, die sich einen Schuss Heroin setzen.

Curto stellte in seiner Heimatstadt Barcelona, in Madrid und in Hamburg aus. Nun ist er mit seiner interaktiven Installation „La Mara“ gemeinsam mit mehr als sechzig Künstlern beim Berliner Kunstherbst zu sehen. Im Mittelpunkt der Gruppenausstellung „papieroffensiv“ steht die Zeichnung, von den Kuratoren nicht als bloßer „Strich auf weißem Papier“ verstanden, sondern als offenes Medium, das sich mit anderen Formen mischt. „Die Zeichnung hat ihren Reiz in der Offenheit“, sagt Michael Bause von der Galerie oqbo, „sie beginnt als flüchtige Linie und wird dann kompakt, wie im Übergang zur Fotografie.“

„Kaleidoskopartig“, mit einer breiten Auswahl unterschiedlichster Positionen, wollten die oqbo-Galeristen ausstellen und gingen gemeinsam mit der Berliner Galerie Laura Mars Grp. und Dan Devening Projects & Edition aus Chicago ans Werk: eine thematisch breite, variantenreiche Schau, die insgesamt 59 Arbeiten junger Künstler auf 500 Quadratmetern versammelt. Es sind vor allem hybride Formen, zwischen Zeichnung und Malerei, Fotografie, Skulptur und Installation. Auch Buchverlage sind mit Zeichnungen und Graffiti vertreten, wie kookbooks und Maas Media.

Für ihre Arbeit „Hengill“ fügten Anke Becker, Inken Reinert und Veronike Hinsberg Blätter Papier aneinander, die sie mit Bunt-, Bleistift, Kugelschreiber und Tusche bearbeiteten und collagierten. Das Ganze ist zweieinhalb mal drei Meter groß und wirkt wie ein riesiges amorphes Gebilde. Klassischer dagegen Nanne Meyer, die mit Bleistift auf Chinapapier arbeitet, ihre Zeichnungen schlicht „Papierperspektive“ nennt, und ein in sich fein verästeltes System von Linien und Formen vorstellt, das ein ornamentaler Wald sein könnte oder ein Gestrüpp aus Himmel und Häusern, Bürolandschaften, die ineinander fluten.

Narrativ erscheinen Andreas Seltzers Arbeiten aus der Serie „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. An die akribische Detailtreue botanischer Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert erinnernd, bildet er Flora, Fauna oder Wanderstiefel mit blauer Tinte ab, am Bildrand laufen dazu in roter Tinte Textauszüge des Romans von Jules Verne durch. Eine Klotür mit obszönen (Männer-)Klotürsprüchen ist ausgestellt, verfremdete Werbeposter, überbelichtete Foto-Bild-Collagen und Aquarelle.

„Papieroffensiv“ findet zeitgleich mit den Kunstmessen in Berlin statt, allerdings abseits der ausgetretenen Pfade. „Wer hierher kommt, muss die gefühlte Schmerzgrenze zwischen Mitte und Wedding, die Bernauer Straße, überwinden“, sagt Michael Bause lachend. Nun denn, es lohnt sich.

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©Jana Sittnick 2009 / style and the family tunes

Artikelbild: Galerie oqbo