Liebe als Lebenssinn

Dorothy Ianonne Retrospektive in der Berlinischen Galerie

von Jana Sittnick

Ihre Figuren sind saftig. Die vielen barbusigen, nackten Damen und (wenigen) Herren in Dorothy Ianonnes Bildern, gut beieinander und sinnlich gerundet, schauen mit unbewegten Gesichtern aus psychedelisch bunten Umgebungen in die Welt des Betrachters. Dabei haben oder machen sie Sex, der oft nicht gut aussieht. Oft prangt ein kämpferischer Slogan über dem Geschehen, wie etwa „I begin to feel free” über einer nackten Frau mit tropfendem Penis. Ein anderes, „Look at me”, zeigt den nackten Hintern einer Frau, und selbige von vorn, mit langem buschigen Schwanz wie der gestiefelte Kater.

Dorothy Iannone, 1933 in Boston geboren, fehlt es nicht an Humor, sie würzt die Darstellungen ihrer selbstbestimmten Dominas und Sexgöttinnen mit einer derben Prise davon. Ianonne gilt als Kämpferin für die Sache der Frauen – für Gleichberechtigung, sexuelle Revolution und Selbstverwirklichung. Gekämpft wird in der Kunst, in Gemälden, Grafiken, Videos, unmissverständlich und undogmatisch, immer auf der Suche nach der Freiheit in der Liebe, ein Grund, weshalb sie eher als unbedingte Erotikerin und nicht als feministische Künstlerin gelten will. Obwohl radikaler Feminismus im New York der frühen Siebzigerjahre, als Ianonne ihre nackten Riesenweiber mit prallen Brüsten, Vulvas und Schwänzen malte, sicher dazu gehörte.

Bei der am Mittwochabend eröffneten Retrospektive in der Berlinischen Galerie sind die verschiedenen Stile und Entwicklungsphasen der amerikanischen Künstlerin zu sehen. Angefangen bei abstrakten Arbeiten aus den Fünfzigerjahren, über die knallbunten, expliziten Darstellungen von Erotik und Nacktheit der Siebziger in Malerei, Videoboxen und Künstlerbüchern, bis hin zu subtileren, vom Buddhismus beeinflussten Liebesbildern und Collagen, die berühmte Liebespaare der Filmgeschichte zeigen. In „movie people” sieht man Holly Hunter und Harvey Keitel in inniger Umarmung („Das Piano”), oder auch Jake Gyllenhaal und Heath Ledger („Brokeback Mountain”).

Die andauernde Betonung des Sexuellen als pure Lebendigkeit, die prallen Formen (überall Geschlechtsteile) und fiesen Farben (überall grün-weiß-rot) mögen heute etwas ermüden. In den 70ern waren sie das große Ding. Zeitlos (und süß) ist das Thema, das wie ein roter Faden das Lebenswerk der mittlerweile 83jährigen durchzieht: die Liebe – als Selbst-Erkennen, als Lebenssinn, als Ekstase und als Schmerz.

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©Jana Sittnick 2014 / WEBLINK  Red Carpet Reports

(Artikelbild: Dorothy Iannone – The Next Great Moment In History Is Ours, 1970
, Courtesy die Künstlerin, Air de Paris, Paris, und Peres Projects, Berlin)