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Arbeit und Trost

zwei kleine Flaschen Sekt

Ein Mann hält seine Ledertasche akkurat auf den Knien. Unruhig schaut er umher, murmelt, schnaubt in sein Stofftaschentuch, zieht einen Pikkolo Rotkäppchensekt aus der Tasche, nimmt einen Schluck, steckt die Flasche wieder ein, zieht seine Fäustling-Handschuhe an und steigt aus der Bahn. Es ist an einem Dienstagmorgen 8.30 Uhr am Berliner Ostbahnhof. Ich sehe den Mann häufiger, irgendwann spreche ich ihn an, ob er auch zur Arbeit fahre. Arbeit??? Die hätte er schon lange nicht mehr, bricht es aus ihm heraus, die hätten doch alles dicht gemacht in den Neunzigern. Früher, da fuhr er jeden Morgen ins Ausbesserungswerk der Bahn, am liebsten Frühschicht, 4.30 Uhr aufstehen, Züge warten, nachmittags die Vögel füttern. 23 Jahre lang, nur zweimal krank gewesen (Blinddarm, Bronchitis). Und immer noch täglich die Strecke? Ja, was denn sonst, zuhause könne er nicht bleiben, da käme ja die Decke runter. Also Tag für Tag um 6 Uhr auf, Brote schmieren, Thermosflasche Tee einpacken, so wie früher, Mantel an und los. Manchmal einen Pikkolo, gegen das Grau.