Ich bin Schlüsselkind und wohne in der Metzer Straße, Prenzlauer Berg. Wie meine Freundin Michi Schmidt. Das ist toll, wir beide müssen nicht in den blöden Schulhort und keiner weiß, was wir nachmittags wirklich machen. (Meistens machen wir aber nichts Schlimmes, nur einmal haben wie die alten Kippen von der Kollwitztraße aufgesammelt und kalt weitergeraucht.) Ich klingele also bei Michi, und sie kommt mit ihrem Kater Max an der Leine herunter. Max ist schwarzweiß gestreift und eingebildet, ich mag ihn nicht. Wir gehen zum Wasserturm, vielleicht sind da auch Katrin und Jean-Pierre, die einzigen aus der Parallel-Klasse, die wir in Ordung finden. Die Strass-Steine an Max Lederhalsband glitzern in der Sonne. Das blöde Vieh will dahin, wo wir nicht hinwollen, es zerrt an der Leine und miaut so laut, dass die Leute auf der Straße stehen bleiben. Ein älterer Mann tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und murmelt irgendwas mit Lager. Wir gehen einfach weiter. Meine Oma sagt immer, ich soll mich vor den Alten in Acht nehmen.
Kategorie-Archiv: BERLIN – BLOG
Buchpredigt am P-Berg
Performance in der Kiezbuchhandlung: Bald ist Weihnachten und deshalb lesen Buchhändler aus ihren Lieblingsbüchern vor, dazu gibt es Wein und Lebkuchen. Schöne Menschen sind versammelt, die Stimmung ist gut, das Marketing sieht gemütlich aus und gar nicht nach Verkaufsförderung. Die Buchbox-Leute (eine Frau und drei Männer) stellen Verschiedenes vor: Krimis, Familienprosa, Gedichte von Patti Smith und Texte über die Liebe. Sie sprechen ohne Spickzettel und voller Hingabe an die Literatur. Den Auftakt macht die Frau in der Runde mit einem Roman über zwei Freundinnen, die Schritt für Schritt in den Sog einer Sekte (Colonia Dignidad?) geraten. Es geht um Glauben und Hoffnung, Macht und Freundschaft. Am Ende des Abends, zwei Stunden später, stellt ihr Kollege das Poem Let them eat chaos der Londoner Künstlerin Kate Tempest vor, ein schmales Bändchen, das ihn derart in Euphorie versetzt. Seine Rede gerät immer mehr aus den Fugen, Allen Ginsbergs Howl hält zum Vergleich her, das Mode-Wort unfassbar fällt unfassbar oft, und zum Schluss fordert der junge Mann sein Publikum auf, nun die Augen zu schließen, um dem Wut-Gedicht auf Band zu lauschen. Gott aber kommt nicht.
Finja und der Exorzist
Wie heißt du? fragt mich ein etwa fünfjähriges Mädchen im Asia-Restaurant. Das Mädchen hat lockiges Engelshaar, eine hohe Stimme und heißt Finja. Bettina und ich bestellen Curry und Saigon-Bier. Ich sage, ich heiße Peter, sie sagt Quatsch, ist doch ein Jungsname, sie fragt, wie alt ich bin, ich sage 12, sie sagt stimmt nicht, da kannst du ja noch kein Baby kriegen, als Schulkind. Dann fängt Finja das Warum-Spiel an. Warum ich hier esse, warum ich aus der Flasche trinke, warum ich Jana heiße: Ich sage Warum, warum ist die Banane krumm? – und habe eine Weile Ruhe, Finja scheint nachzudenken. Dann zeigt sie uns die großen Fische im Restaurant-Aquarium. Der eine ist böse. Der versteckt sich, und wenn die anderen kommen, beißt er sie. Ach so. Finjas Mutter fragt besorgt, ob wir uns gestört fühlten, wir sagen nein. Später hören wir, wie Streit entbrennt, Finja will nicht essen: Plötzlich, mit nach unten gestellter, tiefer Stimme, die unmöglich von dem zarten Lockenkopf kommen kann: Du bist böse! Du bist blöd! Ich hasse dich!, schreit Finja ihre Mutter an. Der ganze Laden verstummt. Ich komme mir vor wie im Film Der Exorzist.
Schön auf dem Amt
Ich sitze in der Wartezone des Bürgeramtes, sehe sie ein paar Mal hin-und herlaufen und wünsche mir, zu IHR zu kommen. Dann ruft SIE meinen Namen auf und bittet mich an ihren Tisch. Sie ist Anfang 50 und trägt schwarze Jeans zur schwarzen Spitzenbluse und hochhackige Stiefel. Ihre dunkelblonden Haare sind toupiert und erinnern an Bonnie Tyler in den 80ern. Vielleicht war sie früher ein Luder, denke ich, ihrem Look zumindest ist sie treu geblieben. Die Hard Rock Lady nimmt freundlich meine Daten auf, tippt mit spitzen Fingernägeln in ihren PC und geht meinen Antrag mit mir durch. Ich schaue wie gebannt auf ihre Schreibtisch-Dekoration: Ein elektrisch betriebener Miniatur-Tisch-Brunnen, in dem Wasser über ein Arrangement aus Rosenquarz und Bergkristall sprudelt. Sie zieht es durch, denke ich, und mache ihr ein Kompliment zum Brunnen. Sie staunt, dass ich Rosenquarz kenne. Ja, das beruhige die Nerven, sagt sie, und sie mache es sich gern auch schön auf der Arbeit, auf dem Amt. „Und kleine Kinder hören sofort auf zu weinen.“
Honecker ist schuld
Ich bin acht, Jungpionier und wohne in der Metzer Straße 6, vierter Stock. Mit meinen Eltern, Großeltern, Onkel Rainer und seinen Hunden. Onkel Rainer bringt sie irgendwo vom Dorf mit, und sie leben dann eine Weile bei uns, und Oma schreit jedes Mal rum, von wegen Dreck. Doch Dolly, die Promenadenmischung, hat sie auch lieb. Einmal bringt Rainer spätabends einen schwarzen Hahn mit, in einem Pappkarton, und versteckt ihn unter dem Bett. Der Hahn kräht am nächsten Morgen um fünf Uhr, da ist was los: Oma, ganz rot im Gesicht, reißt die Fenster auf und brüllt auf die Straße: Honecker ist schuld!
Pankow – Lebkuchen
Im Bio-Markt suche ich die Lebkuchen der Hausmarke, die M. so gut geschmeckt haben letztes Jahr. Ratlos stehe ich vor einem Riesen-Regal mit Lebkuchen – überzogen mit Schokolade (Zartbitter oder Vollmilch), mit Zimt oder ohne Zimt, gefüllt oder ungefüllt, mit Marzipan oder Nüssen oder Aprikosengelee. Ich weiß nicht weiter, und frage einen Mitarbeiter, der Käse ins Kühlregal sortiert, einen nervösen, dünnen Mann, welche Sorte seiner Meinung nach die leckerste sei. Zuerst versucht er, die Angabe der Lebkuchen-zutaten auf der Packung zu entziffern, dann guckt er mich mit ernster Miene an und sagt: „Ich mag Süßigkeiten nicht, und Weihnachten auch nicht, und am allerwenigsten mag ich Weihnachtssüßigkeiten!“ Es tue ihm leid, mir nicht helfen zu können, aber er sei wenigstens ehrlich. Da hat er Recht, denke ich, und muss laut lachen.
Punk Pizza in Mitte
Die Focacceria in Mitte. Früher ein kleiner Punk-Pizza-Laden mit Selbstbedienung. Die Rechteck-Pizzen landeten ofenfrisch hinter dem Tresen aus Plexiglas, wurden in Stücke geschnitten und direkt verkauft. Es war günstig, laut und lecker, man stand oft Schlange und füllte das Glas Wein direkt vom Fass ab. Im Sommer saß man draußen und guckte auf den Park. Tätowierte Italiener jobbten hier, Australier, Israelis, Tschechen. Rustikal eben. Nach ein paar Monaten waren sie wieder weg. Deutsch konnten sie kaum.
Heute ist der Laden ausgebaut: Platz für große Gruppen, Papierdecken auf den Tischen, Kitsch an den Wänden. Das Personal rotiert um eine Riesenbestellung zum Mitnehmen. Zwei tätowierte Frauen mit dunklen Augenringen schneiden die Pizza und packen sie in Kartons. Ihr Kajal ist verwischt, der Nagellack abgeblättert, sie sehen aus, als hätten sie lange nicht geschlafen. Cazzo, stronzo, flucht die eine, als jemand seine angebrannte Pizza reklamiert. Wütend schmeißt sie das Stück in den Müll. Von CD läuft Gianna Nannini.
Ich frage nach Wein, und die Fluchende stellt mir eine Karaffe hin. Kurze Zeit später ruft sie vom Handy einen Medico an. Sie sieht wirklich nicht gut aus. Nachdem alle Pizzen raus und die Arzt-Termine gemacht sind, bekomme ich endlich zwei Gläser. Ich frage auf Englisch, ob sie jetzt wieder gute Laune habe. Sie braucht einen Moment, bis sie mich versteht, dann guckt sie wie eine Löwin auf dem Sprung, sagt aber nichts. Beim Bezahlen gebe ich viel Trinkgeld, ich habe ein bisschen Angst vor ihr. Sie schaut an mir vorbei in den Regen.
Prenzlauer Berg Fotos
Fotos einer vergangenen Welt: Der Freundeskreis Willy Brandt Haus ehrt den früh verstorbenen DDR-Fotografen Bernd Heyden mit einer großartigen Ausstellung
Der Mann hält seine Wodka-Flasche wie eine Geliebte. Der Fahrradfahrer trägt Gasmaske. Gemüsehändler stapeln Kohlköpfe, Kinder rauchen im Hinterhof. Bernd Heyden fotografiert in den 1970er/1980er Jahren die Menschen und Straßen in Berlin, Prenzlauer Berg. Seine eindringlichen Schwarzweiß-Porträts sind heute Klassiker und Zeitdokumente.
Hart, ungeschönt und überaus lebendig zeigt Heyden den Arbeiter- und Abrissbezirk: Menschen bei Konopke, Kohleträger mit rußgeschwärzten Gesichtern, Stehgeiger in der Kneipe – die „kleinen Leute“ sind sein Sujet. Kriegsspuren und Stadtverfall sind überdeutlich: Amputierte Beine, Einschusslöcher in den Hausfassaden, aufgerissenes Straßenpflaster.
Eher ruppig als marode ist der Charme dieser Szenerie, aus deren Zentrum heraus der Fotograf seine Arbeit macht. Bernd Heyden (1940-84) kommt selbst aus proletarischen Verhältnissen, bringt sich das Fotografieren selbst bei und lebt sein kurzes Leben im Prenzlauer Berg. Sein Blick ist zugewandt, seine Bilder sind düster und zärtlich zugleich.
In der DDR macht Heyden seit 1967 im Club junger Fotografen von Sibylle Bergemann und Arno Fischer mit, hat aber kaum Gelegenheit auszustellen. Parteifunktionäre sehen seine Arbeiten als Müllkastenfotografie, Heyden stirbt mit 44 Jahren an Alkoholismus. Der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus und die Bildagentur bpk zeigen nun sein schmales, großes Werk in einer Ausstellung.
Berlin Prenzlauer Berg, Fotografien von Bernd Heyden , Willy Brandt Haus, bis 8. 1. 2017
Foto: bpk/Bernd Heyden, Kinder im Hinterhof, Stargarder Straße, Ost-Berlin, 1973
Freundeskreis Willy Brandt Haus
Marzahn Junimond
P. und ich hatten Schluss gemacht. Ich war 15 und wohnte in Marzahn, und Rio Reiser lief im Radio. Als ich meiner Freundin Katja davon erzählte (Bye Bye, Junimond), rutschte sie heulend an meiner Kinderzimmerwand entlang – als sei IHR Freund weg, und nicht meiner. Ich fand das blöd, sagte aber nichts. Sie musste eh bald nachhause.
(Bild: Rio Reiser, Junimond, Official Video)
Stralau – Auwald Relikte
Heimat, an der Halbinsel Stralau. Der Zilp-Zalp, sagt eine Bildtafel, ist ein kleiner Vogel mit blaugrünem Gefieder. Er singt und zählt zu den Auwald – Relikten an der Spree. Ich hoffe, Gandalf kommt bald und nimmt mich mit nach Auenland. Zur Not auch nach Paradise City. Bald wird es dunkel, von Ferne hör ich Hufe schlagen. Ich hoffe, es sind nicht die Nasgul.









