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Geburtstag in Ostberlin

Geburtstag

Heute ist mein Geburtstag. Früher hatte ich an diesem Tag immer frei, wie die gesamte DDR-Bevölkerung, es war der Tag der Republik, und Kinder wie ich, am DDR-Nationalfeiertag geboren, hießen Republikskinder. Als ich klein war, nahm mich mein Vater mit zur großen Militärparade auf der Karl-Marz-Allee in Ostberlin. Ich saß auf seinen Schultern und staunte Panzerrohre an. Die Allee war gesperrt für den Autoverkehr, hier marschierten die Werktätigen mit ihren Kampfgruppen, die Pioniere, FDJler und die Turnerinnen der Rhythmischen Sportgymnastik für Frieden und Sozialismus. Auf der Tribüne standen Mitglieder des Politbüros des ZK der SED (Erich Honecker, Günter Mittag, Egon Krenz und andere) und winkten dem Volke zu. Ein alter Mann mit Hut, umringt von anderen alten Männern. Mein Vater zwinkerte und sagte, die Militärparade sei extra für mich gemacht. Dann aßen wir am Alexanderplatz Bockwurst und Streuselkuchen, den wir gegen Gratis-Essensmarken der Siebten-Oktober-Parade tauschten.

Plänterwald Plansche

Robbe3

Ich fahre mit dem Rad über knirschenden Waldboden zur „Kinderplansche Plänterwald“, einem ruhigen, aus der Zeit gefallenen Spielplatz mit eigenwilligem DDR-Charme: Wuchtige Seehundpaare (Tierplastiken im Realismus-Stil) stehen im Kreis um ein steinernes, zur Mitte abgesenktes Rondell, aus ihren Mäulern sprudelt Wasser im 10-Minuten-Takt. Von oben knallt die Sonne, Kinder laufen barfuß über die nassen Steinplatten, duschen und kreischen unter den Seehund-Fontänen. Plötzlich tauchen meine Kindheitserinnerungen auf: Wir laufen auf schmalen Gehwegplatten, die über Waldboden an Blumenrabatten vorbei zum Bungalow führen. Wir sehen Insekten am Boden, die sich paaren und merkwürdig ineinander verschoben sind. Wir rauchen zum ersten Mal Lunge und geben nicht zu, dass es weh tut. Wir trinken Kräutertee aus Plastiktassen und essen Wurstbrote. Wir riechen sommertrockene Kiefern, das  Seewasser in unserem Haar und fühlen den Sand unter den Füßen. Wir bewegen uns in der Unendlichkeit sonnendurchfluteter Nachmittage, an denen die Zeit still steht.