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Die Asche des Vaters

zwei vögel kreuzen die schnäbel zum kuss

Zwei Frauen in der Straßenbahn (höhere Bildung, Segeltuchschuhe, marineblauer Blazer):

Frau 1: Also, der Günther, der hat ja lange kein gutes Verhältnis gehabt zu seinem Vater. Das war sehr, sehr schwierig. (Pause)

Frau 2: Der von den Schumanns? Ich kann mich erinnern, die sind ja dann nach Lüneburg gezogen, seitdem hab ich die nicht mehr gesehen.

Frau 1: Genau der. Wir hatten noch Kontakt, durch Susanne, du weißt schon, und da hab ich mitgekriegt, dass er jahrelang in Therapie war, um seine Kindheit aufzuarbeiten.

Frau 2: Ach was, mir kam die Familie immer so solide vor.

Frau 1: Sah wohl nur so aus. Jedenfalls, als der Vater dann Krebs hatte, und alle wussten, dass er bald sterben würde, da hat der Günther sich noch am Krankenbett mit ihm versöhnt!

Frau 2: Nee!

Frau 1: Doch! Und weißt du was? Seit dem Tod seines Vaters trägt der Günther jetzt immer eine Phiole um den Hals. Mit der Asche des Vaters.

Rahnsdorf: Kindertraum

herz will tanzen

Nachts, wenn der Lärm abnimmt, verstärken sich die Geräusche der Straßenbahn unter meinem Fenster: Wie eine Metallhydra schält sie sich aus der dunklen Stille, donnert über ihr Gleisbett und weckt mich auf. Regen trommelt mich zurück in den Schlaf, und wieder träume ich von der blonden Frau, die rauchend an der Haltestelle steht. Ich komme in einer blassgelben, altertümlichen Bahn angefahren, mit quietschenden Türen, die sich über einen Handhebel nur mit Mühe öffnen lassen. Der Hebel klemmt, und ich habe Angst, nicht rechtzeitig aus der Bahn steigen zu können. Doch es gelingt mir. Ich will die blonde Frau ansprechen (ich sehne mich nach dem Duft ihres Haares), doch jedes Mal ist sie verschwunden. Ich fürchte mich vor der Dunkelheit, die vom blassgelben Schein alter Laternen nur schwach unterbrochen wird, genauso wie ich mich in der Warteschlange beim Fleischer fürchte: Wenn ich anstehe, verstärkt sich das Ziehen im Bauch, je näher ich nach vorn rücke. Einmal gehe ich, kurz bevor ich dran bin, aus der Schlange. Ich halte es nicht mehr aus, mein Puls klopft laut. Gleich wäre ich dran und müsste laut meine Bestellung sagen, und alle Umstehenden würden mich hören (…) Ich wache auf, mit Schweiß auf der Stirn.