Jennys Hund Milow fürchtet sich: Als wir am Großen Stern in ein Autokorso mit bunten VW Polos geraten, läuft er schnurstracks zwischen unsere Beine, und gibt die Deckung erst auf, nachdem das Grauen vorbeigezogen ist. An der Tür einer öffentlichen Toilette steht dienstbeflissen „geöffnet 10 bis 18.45 Uhr“. Vor dem Reichstag singt ein Mann mit schmelzender Stimme „It´s all over now, Baby Blue“ von Van Morrison. Touristen machen Fotos, wir kaufen Heißgetränke, der Wirt sagt, er habe auch mal einen Hund gehabt, aber als der gestorben sei, da wollte er keinen neuen mehr, so traurig war das. Wir machen wie versprochen unser Duckface – Selfie, setzen uns dann ins Gras und trinken Kaffee. Die Sonne scheint. Als eine Frau mit Gurrlauten auf Milow zukommt, bellt der Hund meiner Kusine ordnungsgemäß zurück. Irgendwann sagt die Fremde „he don`t like me“, wir unterbrechen unser Gespräch über Geld und Liebe und schenken ihr ein kurzes Nicken.
Kategorie-Archiv: BERLIN – BLOG
Schweine in Tegel
Glück im Tegeler Forst: Goldenes Herbstlicht, Wildschweinbabys und Wochenende. Die vor kurzem zur Welt gekommenen Frischlinge zeigen ihr hellbraun-weiß gestreiftes Fell, niedliche Knopfaugen und Schnauzen, die an Mini-Steckdosen erinnern. Sie stoßen sie in die Luft und schnüffeln. Kinder quietschen vor Freude, Erwachsene machen Handy-Videos. Wir stecken unseren Wildschwein-Snack, rohe Spaghetti, behutsam durch die Zaunmaschen, locken aber nur die erwachsenen Tiere an. Wuchtige, schwarzbraune Schädel mit Riesenhauern, schmale Hinterbacken. Ein Wunder, dass sie nicht vornüber fallen. Ihr Quieken ist ohrenbetäubend. Die Babyschweine nehmen ein Sonnenbad und suhlen sich im Sand. Sie ignorieren uns komplett.
Tschick in Friedrichshain
Schnell kommen die blutigen Schweine ins Bild. In der brachialen Unfallszene irgendwo zwischen Traum und Splatter kippt der LKW zur Seite und kollabiert, die überlebenden Tiere laufen panisch auf die Fahrbahn. Kunstblut ist das, und in Wahrheit sind die Tiere wohlauf, doch in der Geschichte geht es ihnen an den Kragen, und den beiden Teenie-Helden noch viel mehr. Denn wer unerlaubt mit einem gestohlenen Auto durchs Land fährt, erlebt bald bizarre Abenteuer…Tschick, Wolfgang Herrndorfs wunderbarer Roman von 2010, wurde von Fatih Akin lebendig verfilmt und erzählt von zwei Außenseitern, die niemand zur Party einlädt, weil sie spooky erscheinen. Die deshalb in Situationen schlittern, mit dem Gesetz in Konflikt geraten, unerwartet Hilfe bekommen und durch ihr „EINFACH MACHEN“ die Ordnung der Dinge in Frage stellen. Unterwegs werden sie zu Freunden, und können sich das erste Mal selbst begegnen, jenseits vorgefasster Urteile. Schön anzusehen ist das – wegen der tollen Darsteller, Dialoge und der Landschaft Brandenburg / Wallachei: Maisgelb, Weidengrün und Himmelblau färben die Geschichte von Maik und Tschick. Die auch ein summer of love ist.
Köpenick – Krokodil
Wir feiern M.s Geburtstag im „Krokodil“, einem Flussbad mit Restaurant in Köpenick. Es ist ein heißer Herbsttag und wir sitzen unter großen Sonnenschirmen auf der Holzterrasse. Vorn ziehen Boote vorbei, Kinder planschen im Wasser und bauen Sandburgen. Neben mir sitzt die 12jährige Mia mit ihrem Tablet, auf dem ein Katzenspiel läuft. Angelina ist eine animierte Katze mit Kulleraugen, die von uns gestylt werden will, und wir verpassen ihr diverse Trend-Frisuren, schicke Outfits und Make-up. Wir entscheiden uns für blondes langes Haar, Lipgloss und sexy Streetwear (goldweißer Rock, rosa Top). Der Clou ist eine lila XXL-Brille. Ich sage, damit sieht Angelina aus wie Madonna als Nerd. Mia kichert. Als Geburtstagskind M. ihre Geschenke auspackt, ruft ein dickes Buch großes Ah und Oh in der Runde hervor. Das Buch heißt „Die Frau“, ist 1962 in der DDR erschienen und eine Mischung aus Ratgeber und Almanach: Es erzählt vom modernen Leben der sozialistischen Frau – in Beruf, Familie, Freizeit und Sexualität. Mit dem Abstand zum Vergangenen erscheint uns der Sozialismus überaus skurril; wir freuen uns über lustige Haushaltstipps und das Küchen-Design made in GDR: Plaste und Elaste aus Schkopau.
Mitte – Charité
Wir wollen mit dem Rad durch das Charité-Gelände fahren. Sonntags sind hier kaum Menschen, nur wenige Meter vom Hauptbahnhof herrscht heilige Stille zwischen Bettenhäusern aus Backstein, knorrigen Kastanienbäumen und weißen Holzbänken. Doch diesmal ist die kleine Eisenpforte verschlossen, wir rütteln und schütteln, ich bin schon ganz wütend, da zeigt eine fremde Frau von innen ein Stück nach rechts, zu einer zweiten Tür. Wir finden das Schlupfloch im Zaun, und gelangen auf das Gelände. Die Frau sitzt auf einem Stein in der Sonne, ich sage zu ihr, sie hätte uns den Sonntag gerettet. Sie antwortet: „Allet in Ordnung. Wir sind doch hier keene jeschlossene Anstalt!“
Pinkel – Punk – Heidi
Nachts auf dem S-Bahnhof Schönhauser Allee. Es ist spät und kalt und Heidi ist sauer auf ihre Leute, die ihr noch Geld schulden, aber gerade nicht da sind. Schlüssel hat sie keinen, und wo sie die Nacht unterkommen soll, weiß Heidi jetzt auch nicht. Ich wohne noch bei meinen Eltern in Marzahn, falle also aus. Wir kommen aus der Disko und sind angetrunken. Heidi nölt, dass sie den Scheißtypen den Kühlschrank leer fressen wird, zuhause, als erstes, auf jeden Fall, sie sagt es immer wieder, Endlosschleife. Ich verstehe nicht mehr so gut, wegen Alkohol, und Heidi nuschelt. Dann lässt sie die Hosen runter, hockt sich auf den Bahnsteig und pinkelt. Es ist November 1988. (Bild: in der Else, Berlin-Treptow, 2016)
Seefahrt mit Senioren
Der letzte Tag im August protzt mit Himmelblau und Schäfchenwolken, mit Sonne, Segelbooten und Schwänen. Der Dampfer ist brechend voll. Rentner schwatzen munter in der Warteschlange, Kinder essen Eis und quengeln. Ich bin schon vom Anblick gestresst und trete den Rückzug an. Diese Müggelsee-Fuhre geht ohne mich. Der Spreetunnel ist wegen Sanierungsarbeiten gesperrt, und da bin ich dann so niedlich am Verzweifeln, dass ein netter Bauarbeiter mir eine Privatpassage im Schlauchboot anbietet, die ich aufgrund mangelnder Textilien jedoch ausschlage. Ich gehe erstmal Bio-Kaffee trinken und helfe mir die Streuselschnecke vom Feinbäcker rein. Auf die Idee, das Boot eine Stunde später zu nehmen, komme ich erst spät, haste dann zurück zur Anlegestelle und werde prompt belohnt: Deutlich weniger Rentner sind diesmal dabei. Wir alle freuen uns riesig, als der Dampfer ablegt, ich schaue ins blaue Wasser, und stelle mir vor, es auszutrinken.
BEI MUTTI – in Mitte
Berlinische Galerie. Erwin Wurm. Es ist sehr lustig. Als erstes sehen wir ein Haus, das groß genug ist, um es zu betreten, aber so schmal und eng, als wäre es für Menschen aus Papier. Alles liegt in lebensechter Mini-Ausführung vor, Küche, Wohnraum, Schlafzimmer, Klosett. Die Gänge sind so schmal, dass immer nur eine Person hindurchgehen kann. Draußen gibt es viele Objekte, und wir Besucher dürfen, ja sollen mitmachen. Wir legen uns in eine Art Hundehütte, P. betet, ich belle. Klappstühle, die in Kopfhöhe an die Museumswand montiert sind, dienen zum Kopfhineinstecken. Überhaupt – Hand, Arm, Kopf in komische Kunstobjekte hineinstecken kommt hier gut. Alles, was man sonst nicht darf im Museum. Es ist total albern, verspielt und gemütlich. Wir lachen viel und glucksen rum. Und es hat einen herrlichen Namen: BEI MUTTI (Bild: ©Oliver-August Lützenich)
Ode an die Party – Teil 1
Bilder der Mauerstadt
Die Mauer wächst wie ein Krebsgeschwür zwischen Hausfassaden, zerschneidet Straßenzüge und Familien, legt Stadtviertel lahm, Lebenspläne und Beziehungen. Die Ungeheuerlichkeit, mit der die Berliner Mauer von 1961 bis 1989 quer durch die Stadt verlief und doch auch zum Alltag gehörte, ist nun Thema einer neuen Ausstellung. Leaving is Entering im Berliner Museum für Fotografie zeigt Arbeiten des deutschen Fotografen Bernard Larsson aus den Jahren 1961 bis 1968, in denen Berlin eine zentrale Rolle spielt. Larsson gelingt es, in seinen kargen, mit wenigen Bildmotiven auskommenden Schwarzweißaufnahmen vom Leben in der Mauerstadt zu erzählen. Man sieht die Menschen, wie sie leben und wimmeln, auf U-Bahnsteigen, vor Geschäften, in Ausflugslokalen. Männer und Frauen, junge und alte, elegant gekleidet und vom Elend gezeichnet, Kerle mit Hunden, Omas mit Kopftuch, alliierte Soldaten und spielende Kinder in Ost und West – eingebettet in die Ruinenkulisse der kriegsbeschädigten Stadt.
Bernard Larsson, Leaving is Entering, bis 8. Januar 2017, Museum für Fotografie
(Foto: Bernard Larsson, 1962, © bpk, Kunstbibliothek / Staatliche Museen zu Berlin)








