Barocke Pracht trifft hartes Schwarzweiß: Auf dem Boden des als rote Videoprojektion angelegten Spiegelsaals aus dem 18. Jahrhundert steht ein schmuckloser Monitor, der die Sprengung der Berliner Schlossruine von 1950 zeigt. Der Ministerrat der DDR hatte kurz zuvor beschlossen, das 1945 von den Alliierten bombardierte preußische Stadtschloss an der Museumsinsel zu beseitigen. Und das Volksgedächtnis einmal mehr von den Anhaftungen der Vergangenheit zu befreien. (Schließlich, so die Ansicht der Kommunisten, war das Schloss ein Symbol jenes militaristischen Erbes, das es ideologisch zu überwinden galt.) Die Filmaufnahmen der Schloss-Sprengung sind von brachialem Reiz: Nach der Zündung des Sprengsatzes stürzen die Außenmauern binnen weniger Sekunden in sich zusammen und setzen eine gigantische Rauchwolke frei, die in den Himmel steigt. Zurück bleibt ein leerer Platz. Heute sieht man dort eine große Plastikplane, hinter der die Vergangenheit wieder aufgebaut wird – nicht ohne in die Zukunft zu weisen, so die PR-Abteilung des Platzes.
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Die geteilte Stadt: Berlin Fotos aus den 60ern
Bernard Larsson fotografierte Politik, Pop und den Alltag in beiden Teilen der Mauerstadt. Seine Arbeiten sind nun in Berlin zu sehen
von Jana Sittnick 18.08.2016
Die Mauer wächst wie ein Krebsgeschwür zwischen Hausfassaden, zerschneidet Straßenzüge und Familien, legt Stadtviertel lahm, Lebenspläne, Beziehungen. Die Ungeheuerlichkeit, mit der die Berliner Mauer von 1961 bis 1989 quer durch die Stadt verlief und doch auch zum Alltag gehörte, ist Thema der Ausstellung Leaving is Entering im Berliner Museum für Fotografie. Sie zeigt Arbeiten des deutschen Fotografen Bernard Larsson aus den Jahren 1961 – 1968, in denen Berlin eine zentrale Rolle spielt.
Larsson gelingt es, in seinen kargen, mit wenigen Bildmotiven auskommenden Schwarzweißaufnahmen vom Leben in der Mauerstadt zu erzählen. Man sieht die Menschen, wie sie leben und wimmeln, auf U-Bahnsteigen, vor Geschäften, in Ausflugslokalen. Männer und Frauen, junge und alte, elegant gekleidet und vom Elend gezeichnet, Kerle mit Hunden, Omas mit Kopftuch, alliierte Soldaten und spielende Kinder in Ost und West – eingebettet in die Ruinenkulisse der bombardierten Stadt.
Bernard Larsson, 1939 in Hamburg geboren, den es nach eigenen Worten „aus der bundesrepublikanischen Enge“ weggetrieben hatte ins kosmopolitische Paris, arbeitet Anfang der 1960er Jahre als Fotoassistent und fotografiert nebenher für die Modezeitschrift Vogue. Als ihn 1961 die Nachricht vom Berliner Mauerbau trifft, sieht Larsson die Ereignisse im „global-politischen Zusammenhang“, sprich Kalter Krieg. Es zieht ihn in die geteilte Stadt, um sich selbst ein Bild zu machen, und so fotografiert er Prominente und Politiker, und vor allem die „kleinen Leute“ und ihren Alltag auf den Straßen in beiden Teilen Berlins.
Larsson gelingt es dabei, die besondere Situation Berlins, ein Stück Zeitgeschichte einzufangen, und auch den „Puls der Großstadt“, ihre Härte und Dynamik. Er porträtiert DDR-Künstler und „Remigranten“ wie Anna Seghers, Wolf Biermann und Helene Weigel (die beim wohl eher zufälligen Shooting vor dem Brecht-Haus nicht amüsiert gewesen sein soll). Er macht ein Doppelporträt der bundesdeutschen Politiker Ludwig Erhardt und Willy Brandt, er bildet den Schah-Besuch ab, den 1. Mai in Ostberlin („Kampftag des Arbeiterklasse“), die Studentenunruhen in Westberlin. Er fotografiert Pop-Ikonen wie Frank Zappa und Jimi Hendrix, er fotografiert maskierte Linksaktivisten und das Attentat auf Benno Ohnesorg.
Larssons Berlin-Bilder enden mit dem Beginn der Studentenbewegung. Ergänzt werden sie durch Aufnahmen aus anderen „Ostblock“-Metropolen wie Warschau, Prag, Budapest. Die im Vergleich zur spröden Preußenstadt exotisch wirkenden Bilder aus Marokko und Franco-Spanien sind ohne Zweifel spannende Zeitdokumente, die aber bei dieser Auswahl nicht unbedingt dabei sein müssten. Denn das Berlin der 1960er Jahre hat hier das Sagen.
erschienen auf Red Carpet Reports
Foto: Wolliner/Ecke Bernauer Straße, Westberlin, 1962 © bpk, Kunstbibliothek / Staatliche Museen zu Berlin BERNARD LARSSON
Bilder der Mauerstadt
Die Mauer wächst wie ein Krebsgeschwür zwischen Hausfassaden, zerschneidet Straßenzüge und Familien, legt Stadtviertel lahm, Lebenspläne und Beziehungen. Die Ungeheuerlichkeit, mit der die Berliner Mauer von 1961 bis 1989 quer durch die Stadt verlief und doch auch zum Alltag gehörte, ist nun Thema einer neuen Ausstellung. Leaving is Entering im Berliner Museum für Fotografie zeigt Arbeiten des deutschen Fotografen Bernard Larsson aus den Jahren 1961 bis 1968, in denen Berlin eine zentrale Rolle spielt. Larsson gelingt es, in seinen kargen, mit wenigen Bildmotiven auskommenden Schwarzweißaufnahmen vom Leben in der Mauerstadt zu erzählen. Man sieht die Menschen, wie sie leben und wimmeln, auf U-Bahnsteigen, vor Geschäften, in Ausflugslokalen. Männer und Frauen, junge und alte, elegant gekleidet und vom Elend gezeichnet, Kerle mit Hunden, Omas mit Kopftuch, alliierte Soldaten und spielende Kinder in Ost und West – eingebettet in die Ruinenkulisse der kriegsbeschädigten Stadt.
Bernard Larsson, Leaving is Entering, bis 8. Januar 2017, Museum für Fotografie
(Foto: Bernard Larsson, 1962, © bpk, Kunstbibliothek / Staatliche Museen zu Berlin)
Kreuzberg – Katrin
Katrin war verrückt, sagten die, die sie näher kannten. Als 15jährige hatte sie einen schweren Autounfall gehabt, der ihr Nervenzentrum beschädigt hatte. Man sagte, es sei ein Wunder, dass sie überlebt hatte, mit schleifendem Gang, die Glieder verrenkt, die Sprache undeutlich. Katrin kam im Sommer oft in die kleine Bar, diesen Open Air Spielplatz für Partyleute. Die Betreiber nannten ihn stolz Biergarten, aber das traf es nicht, zwar sitzte man draußen, auf Holzbänken und trank Bier, unter den Füßen Kieselsteine, über dem Kopf die Blätter alter Kastanien. Der Ort zwischen Mitte und Kreuzberg hatte seinen abgerissenen, ronzigen Charme. Berliner Anti-Schick, wenn man so will, alle mochten das in dem Sommer, die alten Techno-Hasen, die Nimmersatten, die Immerjungen, und – of course – die Party – Touristen aus Dänemark, Holland, Italien. Doch zurück zu Katrin…
Discount – Disco
Wedding, Gerichtstraße: Morgens um halb neun schon eine lange Schlange. Alte Leute haben Zeit, sagt der Volksmund. Einer – groß, schlank, nach hinten gelegtes Haar – will reden. Mit öliger Stimme erzählt er der Kassiererin vom Supermarkt in der Müllerstraße, wo eine Mitarbeiterin zwar noch „janz jut aussieht“, aber „wat mit die Nerven“ hat, „keen Wunda“. Er redet und redet, statt seinen Einkauf einzupacken, es geht nicht weiter. Der Mann hinter ihm will die Brötchentüte nachschieben, um auch mal dranzukommen, da sagt der Ölige frech „wat machst DU denn, du bist noch jar nich dran!“ Die Frau vor mir dreht sich um, macht eine Handbewegung Richtung „Macke“, und sagt, dass „der dit seinem Schrank erzählen“ soll, ich muss lachen. Guten Morgen, Berlin.
(Bild: Street Art in Wedding, Gerichtstraße)
Techno Nostalgie
Das Schloss der Bürotür ist verzogen, schließt nicht mehr richtig, der Mann vom Schlüsseldienst ist schnell da. Er kommt aus Wilhelmsruh, Jan ist sein Name, Jan und Jana, wir lachen über die zufällige Kombination unserer Namen. Jan redet: Kurz nach dem Mauerfall hat er die Techno-Clubs in Berlin durch: Fischlabor, Praxis Dr. McCoy, Walfisch, Planet, Tresor, Nontox, Matrix, und – na klar – Ostgut! Das war der heiße Scheiß damals, und er hat sie alle mitgenommen, ach so, Bunker auch, meine Fresse, ist das lange her, sagt er. Manche Kumpels von damals würden nicht mehr leben. Weggeballert. Ich nicke, sage, kenne das. Plötzlich wird die große Lebenskurve klar, von damals bis heute. Jan muss dann weiter.
Kreuzberg
Der kleine alte Mann läuft hinter mir, ruft, als ich bei Rot die Fußgängerampel überquere, dit kost fuffzich Euro! Ich reagiere erst nicht, dreh mich dann aber doch zu ihm um, als er fast schon neben mir ist und seinen Flaps-Spruch wiederholt. Wir kommen ins Gespräch, laufen gemeinsam die Wassertorstraße entlang, er ist Ende 60 und einen Kopf kleiner als ich. Er erzählt, dass er hier mal einen Fernseher herbrachte für die Kirche und nur ganz kurz hielt zum Ausladen und zack, waren die Politessen da! Haben 84 Mark kassiert. Als sich unsere Wege trennen, wünsche ich ihm alles Gute, und er sagt unvermittelt, wir haben ja unser Enkelkind hier abgegeben, und fahren jetzt wieder nach Hause, nach Charlottenburg.